Homestay in Kanada

Ein erlebnisreicher Monat in einer Gastfamilie

weltweiser · Homestay · Kanada
GESCHRIEBEN VON: SASKIA DETTMANN
LAND: KANADA
AUFENTHALTSDAUER: 1 MONATE
PROGRAMM: SPRACHREISE
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
Nr. 2 / 2012, S. 34-35

Tausende von Vokabeln hatte ich über die Jahre aus irgendwelchen Englischbüchern abgeschrieben, wohl auch irgendwie gelernt, aber so richtig über die Lippen rutschte mir die Sprache leider nie. Also musste eine Sprachreise her, aber nicht mit anderen Deutschen, verbunden mit drei oder vier Stunden Unterricht am Vormittag, nein, ich wollte in eine Familie, in der definitiv keiner Deutsch sprach. Die Suche fing in England an, ging über Amerika und fündig wurde ich in Kanada. Ich entschied mich für ein Homestay-Programm in Vancouver, wo ich den Alltag und das Familienleben in einer Gastfamilie kennenlernen würde.

„In wenigen Minuten werden wir mit dem Landeanflug beginnen. Schalten Sie nun bitte alle elektronischen Geräte ab, bringen Sie Ihren Sitz in die Ausgangsposition und klappen Sie Ihre Tische ein“, hörte man nur schwer verständlich aus den Lautsprechern. „Oh nein, nur noch 30 Minuten, dann werde ich meine Gastfamilie zum ersten Mal sehen“, dachte ich aufgeregt. Vier Wochen, also ganze 28 Tage, in einem fremden Land, sogar auf einem fremden Kontinent, und als Verständigungsmittel nur die englische Sprache, derer ich noch nicht wirklich mächtig war. Dann ging alles ganz schnell. Mein Koffer war der erste, der auf dem Kofferband landete, die Zollkontrolle stellte kein Problem dar und dann kam mir Valerie von meiner Organisation bereits entgegen und hieß mich herzlich willkommen in Vancouver. Auch meine Gastschwester und mein Gastbruder empfingen mich sehr freundlich. So wirklich kanadisch sahen sie allerdings nicht aus. Mein Zuhause für die kommenden Wochen sollte Surrey sein, ein Vorort von Vancouver. Von dort aus brauchte man nur eine halbe Stunde bis in die Innenstadt, die man ohne Probleme mit dem Skytrain erreichen konnte.

Mit meiner Ankunft im Haus der Gastfamilie begann ein erlebnisreicher und unvergesslicher Monat für mich. Ich bezog mein kleines, nettes Zimmer und wurde erst einmal mit viel Reis und Gemüse versorgt. Tja, wie benutzt man denn nur Stäbchen? Ich muss wohl sehr hungrig, motorisch armselig und etwas verloren gewirkt haben, aber meine Rettung erfolgte in Form einer Gabel. Alle, die um den Tisch saßen, mussten lachen. Alle, das waren Oma und Opa, die Eltern, die Kinder Sabrina, Daniella und Davin. Das Eis war gebrochen und der Startschuss war gegeben, mir viele, viele Fragen zu stellen. Ich fühlte mich gleich wohl in der Runde, und die Frage, die mir die ganze Zeit im Kopf herumschwirrte, war die Frage danach, aus welchem Land sie wohl stammten? Nach zwei Schüsseln Reis, einem gefühlten Kilo Gemüse in meinem Bauch und 20 Stunden auf den Beinen sehnte ich mich nach einem Bett, aber vorher musste ich es noch wissen: Woher kamen sie? Von den Philippinen, verriet mir Daniella in perfektem Englisch.

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Der nächste Morgen begann mit einem großen Familienfrühstück: Reis, so viel man wollte. Danach wurde gepackt. Übers Wochenende ging es auf einen Ausflug in die Wildnis Kanadas. Zelte, Schlafsäcke, Spiele, Decken, Stühle, Tische und mindestens drei Reiskocher – alles musste mit. So verreisten wir zusammen mit ganz vielen anderen Familien und ich hatte das Gefühl, in zwei Ländern gleichzeitig zu sein: auf den Philippinen und in Kanada. Mit dem Auto fuhren wir an Vancouver vorbei und ich war überwältigt von der modernen Stadt am Pazifik mit ihren vielen grünen Oasen der Ruhe. Nach etwa einer Stunde erreichten wir unser Ziel. Es stellte sich heraus, dass die anderen Familien auch Gastschüler aufgenommen hatten, und so waren an diesem kleinen, einsamen Ort mitten in Kanada plötzlich alle Kontinente vertreten. Es war ein großartiges Wochenende, mit so vielen neuen Eindrücken, so vielen verschiedenen Sprachen, so unterschiedlichen Spielen und Gewohnheiten, dass dieser kleine Campingplatz für mich eine riesengroße Welt darstellte, die es zu erkunden galt. Schnell merkte ich, dass ich richtig viel Glück mit meiner Gastfamilie hatte. Die Familie hatte vorher noch nie einen Gastschüler aufgenommen und ich war die erste Deutsche, die sie in ihrem Leben gesehen hat. So waren die Neugierde und das Interesse auf beiden Seiten sehr groß, denn auch ich hatte ja noch nie eine in Vancouver lebende philippinische Familie kennengelernt.

„Ich war froh, gleichaltrige Gastschwestern in der Familie zu haben“

Der auf das Ausflugswochenende folgende Montag war der erste richtige Wochentag, den ich in Kanada erlebte. Nach dem Aufwachen führte mich mein erster Gang in die Küche. Dort stellte ich fest, dass außer den Kindern niemand im Haus war. Die Eltern waren arbeiten und meine Hauptansprechpartner waren somit Sabrina und Daniella. Bei einem ausführlichen Reisfrühstück erzählten sie mir, dass ihre Eltern jeden Tag bis abends arbeiten würden. Ich war froh, gleichaltrige Gastschwestern in der Familie zu haben. Sabrina und Daniella schienen es nicht als Verpflichtung anzusehen, mir alle Sehenswürdigkeiten zu präsentieren, nein, im Gegenteil, ich hatte den Eindruck, dass sie Spaß daran hatten, die eigene Heimat aufs Neue zu erkunden. So kam ich wirklich in den Genuss, ganz Vancouver zu sehen: jedes Gebäude, jeden Park, jede Straße, China Town, Gastown, Yaletown, Granville Island, Stanley Park, Canada Place mit dem Olympic Fire, Shopping Malls und vieles mehr. Wenn die Eltern nach der Arbeit nach Hause kamen, wurde erst einmal gekocht: Reis! Beladen mit Reistopf, Getränken und Decken ging es fast jeden Abend raus in die Natur oder ans Meer zum Picknicken. Dabei musste ich feststellen, dass keiner schwimmen konnte, und alle waren ziemlich erstaunt darüber, dass in Deutschland fast jeder schon als Kind schwimmen lernt. Nach dem täglichen Abendessen in der freien Natur war ich vom hinter mir liegenden Tagesprogramm meist fix und fertig und freute mich einfach nur auf mein Bett.

„Wir machten uns eine schöne Zeit mitten in Downtown“

Natürlich gab es auch Tage, an denen meine Familie zum Beispiel einen Frisörtermin oder Zahnarzttermin hatte, und da ich mich nicht wirklich für die kanadische Zahntechnik interessierte, traf ich mich an solchen Tagen mit anderen Austauschschülern. Wir machten uns eine schöne Zeit mitten in Downtown und bewunderten die ganze Stadt vom Lookout Tower aus. Wir waren so fasziniert, dass wir an dem Tag die letzten Besucher waren, die den Tower verließen. Ein anderes Mal trafen wir uns zu einer kleinen Wanderung, so dachte ich zumindest. Mit Rucksack auf dem Rücken und Chucks an den Füßen erschien ich guter Dinge zu unserem Treffpunkt und war in dem Glauben, wir würden ein bisschen spazieren gehen. Doch als ich von unten den Berg Grouse Mountain hochblickte, wusste ich, dies war ein Irrtum. Nach zwei Stunden, mit knallroten Köpfen und völlig aus der Puste hatten wir gerade einmal die Hälfte geschafft. Bei einem Spaziergang mit meinen Eltern wäre ich wahrscheinlich wieder umgedreht, doch mit Anfeuerungsrufen in diversen Sprachen erreichten wir nach einem fünfstündigen Aufstieg den Gipfel und genossen die wunderschöne Aussicht. Das Wandern gehört wirklich nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, aber es war ein richtig gelungener Tag, an dem ich von den anderen Gastschülern viel über ihr Leben erfuhr. Wenn ich zurückblicke, hat mich gerade die Vielfalt fasziniert, sowohl des Landes als auch der Nationen und Kulturen, die ich durch die anderen Austauschschüler kennengelernt habe.

Nach etwas mehr als einer Woche hatte ich mich schon gut eingelebt und fühlte mich richtig zu Hause. Da meine Hauptnahrung aus Reis bestand, sehnte ich mich nach einem Stück Brot, welches in Form eines Toastbrots auch sofort gekauft wurde. Die schönste Entdeckung war dann noch ein Toaster, den ich zunächst einmal abstauben und in Betrieb setzen musste. Und so aß ich ab sofort morgens Toastbrot. Davin, der Jüngste der Familie, fand Toast ebenfalls klasse und von nun an gab es Toastbrot mit Ice-Cream zum Frühstück. Meine „Reis-Erfahrung“ hat nicht wirklich etwas mit Kanada zu tun, aber dass viele Asiaten sich wirklich fast ausschließlich von Reis ernähren, war mir vorher nicht bewusst gewesen. Irgendwann wurde ich gefragt, was man denn in Deutschland üblicherweise so isst. Unter anderem muss ich wohl Pizza aufgezählt haben, denn die wurde dann beim nächsten Einkauf extra für mich mitgebracht. Nicht nur in puncto Essen, sondern auch in Sachen Religion gab es deutliche Unterschiede zu meinem Leben in Deutschland. Meine Gastfamilie war sehr gläubig, und so gingen wir jeden Sonntag in die Kirche. Es machte mir viel Spaß, meine Familie dorthin zu begleiten, da der Gottesdienst modern und locker gestaltet war. Es wurde sehr viel gesungen und eine Band spielte, was ich von meinen Gottesdienstbesuchen in Deutschland nicht kannte. Anschließend war „Family Day“, an dem wir gemeinsam etwas unternahmen.

„Ich hätte nie gedacht, dass Englisch lernen so viel Spaß machen kann“

Mein Homestay-Monat ist nun vorbei. Doch was geblieben ist, sind wunderbare Erinnerungen. Ich habe viele positive Erfahrungen gemacht und so eine Menge gelernt und mitgenommen. Auch meine Englischkenntnisse haben sich in der eigentlich kurzen Zeit deutlich verbessert. Zwar kann ich nicht behaupten, dass ich nun fließend Englisch sprechen kann, aber all meine für die Schule auswendig gelernten und bis dahin nie wirklich angewandten Vokabeln kommen jetzt problemlos über meine Lippen. Ich hätte nie gedacht, dass Englisch lernen so viel Spaß machen kann. Meine Gastfamilie hat wirklich sehr dazu beigetragen, dass es ein unvergesslicher Monat für mich war. Und ich werde wiederkommen, das ist klar!

Saskia Dettmann, 18, lebt in Schwanfeld bei Würzburg. Sie besucht derzeit die 12. Klasse und plant, ihre kanadische Familie nach dem Abitur wieder zu besuchen. Sie kann sich gut vorstellen, später Tourismus zu studieren.

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Koala Bär
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