Als Erasmus-Studentin im herzlichen Schottland
Meine erste längere Auslandsreise führte mich nach Neuseeland, wo ich neun Monate mit Work & Travel verbrachte. Danach verweilte ich nicht lange in Deutschland, sondern begann bald mein Studium in Breda, in den Niederlanden. Dieses bot mir im 5. Semester die Gelegenheit zu einem Erasmus-Semester im schottischen Paisley, ganz in der Nähe von Glasgow.
Klingt toll, nicht wahr? Das dachte ich auch, doch dann begann der organisatorische Krisenstand: Meine Universität konnte keinen Kontakt mehr zu der Partnerhochschule in Paisley aufnehmen, da der dortige Erasmus-Koordinator einfach das Handtuch geworfen hatte und so schnell kein Ersatz gefunden wurde. Das Vorbereitungschaos schien eher die Regel als die Ausnahme zu sein, denn weder meine Heimatuniversität noch die schottische Hochschule stellten sich als organisatorisch geschickt heraus. Es war ein Drahtseilakt, alle Unterlagen rechtzeitig und vollständig einzureichen. Das sollte mich jedoch nicht von meinem Erasmus-Semester abhalten, und nachdem ich alle bürokratischen Hürden genommen hatte, konnte es endlich losgehen. Nach meinen Prüfungen und der Verabschiedung von Familie und Freunden in Deutschland flog ich von Amsterdam nach Glasgow. Da ich es bereits gewohnt war, mindestens einmal im Jahr meine Zelte abzubrechen und in ein fremdes Land umzuziehen, in einer unbekannten Umgebung und einer anderen Kultur zu leben, fiel mir der Abschied nicht sonderlich schwer. Heimweh kam bei mir ohnehin nur auf, wenn ich nichts zu tun hatte, aber da es so viel zu entdecken und erkunden gab, blieb dafür gar keine Zeit.
Ich hatte mich für ein wenig Abenteuer und Unbekanntes zu Beginn entschieden, und wollte die ersten Nächte in Glasgow als Couchsurfer verbringen. Es war jedoch gar nicht so einfach, für eine Woche eine Unterkunft zu finden, und das bei einer Person, die mir nicht zwielichtig erschien. Nachdem ich am Glasgow Airport angekommen war, musste ich bereits die erste Hürde nehmen und zu der Bushaltestelle gelangen, die mir Martin, mein Couchsurfing-Gastgeber, genannt hatte. Ich nahm den Bus Richtung Stadtzentrum und stieg an der ersten Haltestelle aus, deren Name wie der vereinbarte Treffpunkt klang. Da ich auf Englisch studierte und mich bereits längere Zeit im englischsprachigen Ausland aufgehalten hatte, traf mich die Erkenntnis etwas unvorbereitet, dass der schottische Dialekt eine Herausforderung für mich darstellte. Wider Erwarten war ich nämlich falsch ausgestiegen. Nun begann das hektische Telefonieren, um Martin doch noch zu finden. Glücklicherweise war er Engländer und daher problemlos zu verstehen. Er erklärte mir den Weg zum Hauptbahnhof und entdeckte mich schließlich am Eingang. Er sagte später immer gern: „Da stand sie, 1,60m mit einem 1,50m großen Rucksack.“
Danach verlief alles reibungslos, wir machten uns auf den Weg zu Martins Wohnung, wo es natürlich erst einmal Tee gab. Mit mir waren noch zwei andere Couchsurfer aus Frankreich zu Besuch, die eine Rundreise durch Europa machten. Am Abend kochte Martin traditionell „Haggis“ für uns, aber er hatte vorsichtshalber noch etwas anderes vorbereitet, falls wir schreiend vor dem gefüllten Schafsmagen davonrennen würden. Nach und nach trudelten auch seine Mitbewohner ein, ein Litauer namens Lime, der in Glasgow studierte, und Jo, eine Schottin, die unheimlich gern redete. Am nächsten Tag lernte ich einen Freund meines Gastgebers kennen, der an der gleichen Universität studierte, wo auch mein Auslandssemester in der darauffolgenden Woche beginnen würde. Valentin war eine riesige Hilfe, denn er erklärte sich sofort bereit, mir bei der Zimmersuche in Paisley zu helfen. Ich hatte mich für ein Zimmer im Studentenwohnheim angemeldet, das wir am Folgetag besichtigten. Das Zimmer war nicht mehr als eine 8m² große Zelle, dazu waren die Mietkosten horrend. Daher setzten wir die Suche fort und fanden schließlich ein ideal gelegenes Zimmer. Von dort konnte ich in 20 Minuten zu Fuß zur Universität gelangen. Um ins Stadtzentrum von Paisley und nach Glasgow zu fahren, musste ich nur drei Minuten zum Bahnhof laufen. Insgesamt war der Anfang wirklich aufregend, weil ich recht unvorbereitet losgezogen war, aber die Menschen waren alle so herzlich und hilfsbereit, dass alles besser lief als erwartet.
„Der Dozent, der die Erasmus-Studenten betreute, war sehr freundlich, hilfsbereit und stets für einen Plausch zu haben“
Durch das Couchsurfing lernte ich gleich zu Beginn einige „Einheimische“ kennen, mit denen ich mich schnell anfreundete. Ich verbrachte daraufhin den Großteil meiner Freizeit mit ihnen. Dies sicherte mir auch stets eine Übernachtungsmöglichkeit in Glasgow, falls es mal spät wurde und kein Zug mehr zurück nach Paisley fuhr. Die Schotten empfand ich als sehr herzlich und freundlich, nur Pünktlichkeit war nicht ihre Stärke. Wir trafen uns mehrmals die Woche, aßen zusammen, saßen im Park, erkundeten die unzähligen Winkel der Stadt, verbrachten die Abende im Pub und schauten uns Rugby-Spiele an oder hörten Livemusik und gingen tanzen. Da ich nur an zwei Tagen in der Woche Vorlesungen an der Universität besuchte, stand mir sehr viel freie Zeit zur Verfügung. Abhängig von der Anzahl der Fachsemester gab es verschiedene Kurse zur Auswahl. Ich musste lediglich drei Veranstaltungen belegen, daher wurde mir ein sehr entspannter Stundenplan zuteil. Am besten gefiel mir die Veranstaltung Social Entrepreneurship, dagegen waren E-Marketing und Business Development eher trocken und nicht sehr ansprechend. Der Dozent, der die Erasmus-Studenten betreute, war sehr freundlich, hilfsbereit und stets für einen Plausch zu haben. Insgesamt fand ich das Programm an der University of the West of Scotland jedoch nicht fordernd genug, verglichen mit den Leistungen, die ich an meiner Universität in Breda erbringen musste.
„Wir unternahmen eine wundervolle Wanderung auf den Ben Arthur“
In Bezug auf meine Freizeitgestaltung muss man vorwegnehmen, dass ich eine große Naturliebhaberin bin. Daher war es ideal für mich, dass man in Glasgow innerhalb von 20 Minuten aus der Stadt heraus gelangen konnte und sich inmitten schönster Natur befand. Mit meinem Freund fuhr ich zum Loch Lomond, einem riesigen See, der von Bergen umgeben ist. Wir unternahmen eine wundervolle Wanderung auf den Ben Arthur. Der Aufstieg war phänomenal, da wir uns durch verschiedenste Vegetationszonen bewegten. Unterwegs trafen wir sehr freundliche Schotten, die uns Karten liehen und uns Tipps für eine alternative Route gaben, auf der man eine tolle Aussicht haben sollte. Der Ausblick auf dem Gipfel war ergreifend, man konnte die ganze Weite gar nicht recht aufnehmen, ich fühlte mich frei und unbeschwert. Der Rückweg erfolgte über kilometerlange Serpentinen und an Bergwiesen vorbei. Als wir wieder in unserer Unterkunft ankamen, waren wir sehr erschöpft, aber glücklich und zufrieden.
„Ich lernte viele Kommilitonen kennen und nutzte gleich die Gelegenheit, einmal mit einem waschechten Südamerikaner Salsa zu tanzen“
Natürlich konnte man als Erasmus-Student in Schottland nicht nur wandern, Schlösser und Museen erkunden, sondern auch den interkulturellen Austausch fördern. Diese Gelegenheit bot sich mindestens einmal in der Woche auf den berühmt-berüchtigten Erasmus-Partys. Hier trafen internationale und einheimische Studenten aufeinander, und es gab ein buntes Durcheinander von Sprachen und Menschen aus aller Welt. Ich lernte viele Kommilitonen kennen und nutzte gleich die Gelegenheit, einmal mit einem waschechten Südamerikaner Salsa zu tanzen. Dabei brauche ich nicht zu erwähnen, dass er dreimal besser tanzte als ich, dennoch war es eine tolle Erfahrung. Insgesamt fühlte ich mich in Schottland sofort wohl und hatte keinerlei Probleme, mich einzuleben. Nur an das Essen konnte ich mich nicht recht gewöhnen. Es war ziemlich teuer und viele Gerichte wurden in reichlich Fett frittiert, zum Beispiel Marsriegel, „deep fried mars bars“. Das Frühstück war sehr lecker, wenn man sich auf Tee, Toast, Tomaten, Würstchen, „Baked Beans“, Bacon und Pilze beschränkte und auf „Haggis“ wie auch „Black Pudding“, eine Art gebratene Blutwurst, verzichtete. Ich hatte außerdem viel Spaß dabei, mit Martin zu kochen, der auf sehr unkonventionelle Art Zutaten kombinierte, was zu unterschiedlichen Ergebnissen, aber nicht immer zum Erfolg führte.
„Ich lernte tolle Menschen in Schottland kennen, sowohl im Studium als auch beim Couchsurfing“
Mit einigen Kommilitonen beschloss ich, zum St. Patrick’s Day nach Dublin zu fliegen. Wir waren eine heitere, kleine Truppe von sieben Leuten. Insgesamt verbrachten wir vier Tage in einem Hostel in Dublin, um uns auch die Stadt und das kulturelle Angebot ansehen zu können. Die Hauptattraktion war natürlich der St. Patrick’s Day selbst: Dublin war voller fröhlicher, ausgelassener Menschen von Kindern bis zu Senioren, die alle grün geschminkt und gekleidet waren. Es war wirklich ein Erlebnis der besonderen Art, etwas Ähnliches hatte ich noch nie zuvor gesehen. Am nächsten Tag gegen Mittag unternahmen wir einen vom Hostel kostenfrei veranstalteten Stadtrundgang unter der Führung einer bewundernswerten Studentin – bei circa 20°C und Sonnenschein lief sie in Gummistiefeln und Regenponcho herum. Am Ende der Stadtführung erwies sich ihr Outfit jedoch als sehr weise gewählt, denn es begann in Strömen zu regnen. Die restlichen Tage erkundeten wir Dublin auf eigene Faust. Danach kehrten wir erschöpft in den studentischen Alltag nach Paisley zurück. Es gab während meines Erasmus-Semesters also immer etwas Neues zu sehen, zu tun und zu erleben. Ich lernte tolle Menschen in Schottland kennen, sowohl im Studium als auch beim Couchsurfing. Daher kann ich beides nur wärmstens empfehlen. Die Freundschaften bestehen immer noch und werden sicherlich noch lange währen, da ich mich Hals über Kopf in Land und Leute verliebt habe und so schnell wie möglich zurückkehren möchte.
Theresia Trommer, 24, hat ihr Bachelorstudium an der Universität in Breda beendet. Für ihren Master möchte sie nach Schottland zurückkehren, doch zuerst nimmt sie sich ein Jahr Zeit, um ein Praktikum zu absolvieren und sechs Monate durch Südamerika zu reisen.
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