Schüleraustausch auf Gegenseitigkeit
Als eine gute Freundin einen Schüleraustausch machte, war ich sofort begeistert von der Idee. Vom Fernweh gepackt, informierte ich mich über verschiedene Optionen, bis ich auf eine Organisation stieß, die Austausche auf Gegenseitigkeit anbot.
Es gefiel mir, dass der Austausch aus zwei Teilen bestand – die eine Hälfte des Austauschs würde ich miterleben, wie man in einem anderen Land lebt, und die andere Hälfte würde mein Austauschpartner erfahren, wie mein Alltag in Deutschland aussieht. Meine Eltern waren zwar erst etwas skeptisch, doch nachdem sie sich ebenfalls informiert hatten, stimmten sie zu und das Abenteuer begann. Das Bewerbungsverfahren umfasste ein Infotreffen für Schüler zwischen neun und 17 Jahren, die Interesse daran hatten, für drei Wochen bis drei Monate ins Ausland zu gehen. Außerdem gehörten ein persönliches Gespräch mit der Ansprechpartnerin, ein Hausbesuch von einer austauscherfahrenen Familie und natürlich eine Menge Unterlagen dazu. Ich lernte die Menschen kennen, die sich um das sogenannte Matching kümmerten, bei dem anhand der detaillierten Unterlagen zwei Austauschschüler gesucht wurden, die so gut wie möglich zusammenpassten. Dabei wurde auf Persönlichkeit, Interessen, die Familie und natürlich das Wunschland geachtet.
Nachdem mein Bewerbungsverfahren beendet war, musste ich nicht lange warten, bis ich die Unterlagen von Salomé, einer sympathischen und aufgeschlossenen Französin aus der Bretagne, zugeschickt bekam. Ich hatte ein paar Tage Zeit, um mir ihre Unterlagen durchzulesen und mich zu entscheiden. Von Anfang an hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Salomé und ich hatten einige Gemeinsamkeiten, ihre Eltern und Geschwister waren mir sofort sympathisch und auch die Katze und den Familienhund wollte ich unbedingt kennenlernen. Nachdem wir beide das Matching angenommen hatten, nahmen wir Kontakt zueinander auf. Wir schrieben uns fast täglich und lernten uns so schon immer besser kennen. Und auch unsere Eltern standen in Kontakt und klärten die notwendigen Details, wie zum Beispiel die Reisedaten und Flüge. Und dann war es auch schon so weit: Im Frühjahr flog ich für sechs Wochen nach Frankreich. Der Abschied von meiner Familie und meinen Freunden fiel mir schwer, doch zum Glück überwog die Vorfreude. Ich war außerdem ziemlich aufgeregt, weil ich noch nie zuvor geflogen war. Nach vier Stunden kam ich am Flughafen in Nantes an und traf Salomé und ihren Vater. Es war merkwürdig, die beiden auf französische Art zu begrüßen. Außerdem musste ich mich zuerst daran gewöhnen, mich nur noch auf Französisch zu verständigen. Aber meine Gastfamilie hat es mir wirklich leicht gemacht, mich einzugewöhnen. Sie sprachen langsam mit mir und sobald wir bei ihnen zu Hause angekommen waren und ich meine Gastmutter und meine beiden Gastgeschwister kennengelernt hatte, zeigten sie mir die kleine Stadt, in der sie lebten und wo ich auch zur Schule gehen würde.
Zwischen Frankreich und Deutschland gibt es natürlich einige Unterschiede, wie zum Beispiel das Essen, die Kultur oder natürlich die Sprache, doch die meisten Unterschiede gab es für mich in der Schule. Besonders, da so gut wie alle französischen Schulen Privatschulen sind und der Unterricht anders war, als ich ihn bisher kannte. Die Schüler wurden ziemlich frontal unterrichtet. Besonders beeindruckt hat mich die Größe meiner Schule und dass es in jedem Klassenraum einen Beamer gab, der im Unterricht für nahezu alles genutzt wurde. Außerdem hatte ich neben den ganz normalen Fächern wie Mathematik oder Sport auch Technologie oder Histoire-Géo, eine Kombination aus Geschichte und Geografie. Anders als bei mir zu Hause bleiben die französischen Schülerinnen und Schüler manchmal bis fünf oder sogar halb sechs in der Schule und essen dort auch jeden Tag zu Mittag – mit Ausnahme vom Mittwoch, wo die Schule schon um 12 Uhr endet. So bleibt kaum Zeit für Hobbys oder Freunde. Sollte man zumindest meinen. Aber selbst nach den langen Schultagen in Frankreich kam der Spaß nie zu kurz. Wir verbrachten die Zeit mit meinen Gastgeschwistern zu Hause, spielten Spiele, schauten französische Filme oder blieben nach der Schule zusammen mit Freunden direkt in der Stadt. Dort gab es einen kleinen Hafen, der als Treffpunkt für alle Jugendlichen der Stadt diente. Auf diese Weise lernte ich viele von Salomés Freunden kennen und verstand mich immer besser mit ihnen. Mit der Zeit wurde es einfacher, die Franzosen zu verstehen, und ich konnte mich endlich richtig am Gespräch beteiligen – und zwar nicht nur in den gestellten Szenen, die ich aus dem Französischunterricht kannte, sondern auch im alltäglichen Leben.
So fühlte es sich schon bald merkwürdig an, wenn ich bei gelegentlichen Telefonaten mit meiner Familie und meinen Freunden Deutsch sprach. Natürlich vermisste ich sie, aber Heimweh hatte ich nicht. Nach zwei Wochen begannen dann in Frankreich die Osterferien. Die erste Woche verbrachten Salomé und ich bei Sofia, ihrer ersten Austauschschülerin in Spanien. Ich konnte zwar nicht ein einziges Wort Spanisch sprechen, hatte aber trotzdem eine tolle Zeit mit Salomé, Sofia, ihren Freunden und ihrer Familie. Meistens unterhielten wir uns auf Französisch oder Englisch. Als wir wieder zurück in Frankreich waren, ging es auch schon weiter in den Familienurlaub auf die wunderschöne Insel Belle-Île en Mer. Dort verbrachten wir eine tolle Woche mit Salomés Verwandten. Viel zu schnell waren die Ferien wieder vorbei und die Schule ging weiter. In dieser Woche machte meine gesamte Klasse Praktikum. Während meine Austauschschülerin bei einem Zahnarzt aushalf, verbrachte ich die Zeit in einem Kindergarten, den meine Gastmutter leitete. Ich denke, wenn man eine Sprache wirklich lernen möchte, dann sollte man sich auf jeden Fall mit Kindern in dieser Sprache unterhalten. Sie nehmen keine Rücksicht darauf, welche Begriffe man bereits kennt oder ob man jedes einzelne Wort versteht. Ich erinnere mich noch daran, wie oft ich den Kindern Bücher vorgelesen habe, die ich am Anfang der Woche kaum verstand und am letzten Tag beinahe auswendig konnte.
„Meine ganze Familie freute sich auf sie und wir hatten bereits viele Ideen, was wir ihr alles zeigen wollten.“
Nach einer letzten regulären Schulwoche waren die sechs Wochen auch schon vorbei und es ging zurück nach Deutschland. Ich freute mich natürlich, meine Familie und meine Freunde endlich wiederzusehen, doch ich war auch traurig, meine Gastfamilie zu verlassen. Zum Glück war mein Austausch noch lange nicht vorbei und ein paar Wochen später kam Salomé nach Deutschland, um im Gegenzug nun den deutschen Alltag kennenzulernen. Meine ganze Familie freute sich auf sie und wir hatten bereits viele Ideen, was wir ihr alles zeigen wollten. Und auch meine Freunde waren aufgeregt und gespannt. Da Salomé in der Schule keinen Deutschunterricht hatte, stand für sie nicht unbedingt das Erlernen einer neuen Sprache im Vordergrund, sondern das Kennenlernen eines unbekannten Landes und neuer Menschen. Nicht selten musste Salomé sich dennoch an Wörter wie „Eichhörnchen“ oder „Streichholzschächtelchen“ versuchen. In der letzten Schulwoche vor den Sommerferien fand an meiner Schule eine Projektwoche statt und wir lernten einige typisch englische Gerichte kennen. Wir hatten alle viel Spaß und selbst, wenn manchmal kleine sprachliche Schwierigkeiten auftauchten, war es nicht schwer, diese mithilfe von Händen und Füßen zu überwinden.
„Salomé verstand sich inzwischen so gut mit meinen Freunden, dass sie auch ohne mich Zeit mit ihnen verbrachte.“
Ein Highlight war auf jeden Fall die Geburtstagsfeier von mir und meiner besten Freundin. Wir machten eine Fahrradtour, einen Abstecher auf den Jahrmarkt und kühlten uns bei der örtlichen Eisdiele ab. Dabei entdeckte Salomé Spaghetti-Eis für sich, welches sie aus Frankreich gar nicht kannte. Anschließend ließen wir den Abend beim gemeinsamen Grillen ausklingen. Salomé verstand sich inzwischen so gut mit meinen Freunden, dass sie auch ohne mich Zeit mit ihnen verbrachte. Und auch mit meinen Eltern und meiner jüngeren Schwester hatten wir bei gemeinsamen Abendessen, Filmabenden oder beim gemeinsamen Backen immer etwas zu lachen. Natürlich zeigten wir Salomé auch die nächstgrößere Stadt Hamburg, und verbrachten einen Tag an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins. Besonders gut gefiel mir, dass nun, da Salomé auch einen Einblick in mein Leben bekommen hatte, wir uns viel besser kennenlernen konnten. Wäre ich lediglich bei ihr gewesen, hätte sie natürlich auch nur einen Teil von mir kennengelernt. Denn schließlich war ich in Frankreich manchmal zurückhaltender, als ich es in Deutschland gewesen bin.
In der letzten Woche machten wir einen Städtetrip nach Berlin, wo wir die Berliner Mauer und das Brandenburger Tor besichtigten, Berlins Einkaufsstraßen abklapperten und vom Fernsehturm aus den Sonnenuntergang bewunderten. Viel zu schnell kam der Tag, an dem Salomé zurück nach Frankreich fliegen musste. Wir fuhren zum Flughafen, machten ein paar letzte Bilder und mussten uns dann voneinander verabschieden.Doch es würde auf jeden Fall kein Abschied für immer sein und all die aufregenden, witzigen, erstaunlichen und unvergesslichen Erlebnisse würden bleiben. Ich hatte die Möglichkeit, ein wunderschönes Land einmal aus einer völlig anderen Perspektive zu sehen und so viele tolle Menschen kennenzulernen. Und nicht nur mein Französisch hat sich verbessert. Ich bin selbstbewusster geworden, habe gelernt, unabhängiger zu sein, und meine Reiselust wurde geweckt. Und nicht nur bei mir. Viele meiner Freunde hatten so viel Spaß bei meinem Austausch,dass auch sie sich für ein solches Abenteuer beworben haben. Denn ein echter Schüleraustausch ist nicht nur für dich, sondern auch für deine Familie und deine Freunde eine einzigartige Erfahrung.
Janna Kruse, 16, träumt davon nach der Schule ein Jahr ins Ausland zu gehen. Am liebsten möchte sie Freiwilligenprojekte in Afrika oder Südamerika unterstützen.
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