Auslandsjahr in Texas

Mit dem Parlamentarischen Patenschafts-Programm in die USA

  • GESCHRIEBEN VON: ELISA KLEINSTÜCK
  • LAND: USA
  • AUFENTHALTSDAUER: 1 JAHR
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    NR. 10 / 2020, S. 14-16

Im vergangenen Jahr ist für mich ein Traum in Erfüllung gegangen, der Traum eines Auslandsjahres. Nie hätte ich daran geglaubt, dass gerade ich die Möglichkeit bekomme, mit dem PPP diese Erfahrung zu machen.

Das Parlamentarische Patenschafts-Programm, kurz PPP, gibt jährlich rund 360 Schülerinnen und Schülern sowie jungen Berufstätigen die Möglichkeit, für zehn Monate in den USA bei einer Gastfamilie zu wohnen und dort auf eine High School zu gehen beziehungsweise verschiedene Praktika zu machen. Gleichzeitig kommen amerikanische Schüler nach Deutschland, die ebenfalls in Gastfamilien untergebracht werden und hier zur Schule gehen. In den USA heißt das Programm Congress-Bundestag Youth Exchange, kurz CBYX. Jeder Austauschschüler ist ein Junior-Botschafter, der die Aufgabe hat, die deutsche Kultur in der jeweiligen Schule, Gastfamilie oder Praktikumsstelle vorzustellen. Bei der Auswahl wird sehr auf politisches und soziales Engagement sowie auf die Persönlichkeit und Schulnoten geachtet. Die Stipendiaten haben immer einen Bundestagsabgeordneten des jeweiligen Wahlkreises als Paten. Mein Pate war der Bundestagsabgeordnete Andreas Jung.

Ungefähr ein Jahr ist es jetzt her, als ich von meiner damals noch völlig unbekannten Gastfamilie am Flughafen in Dallas, Texas, abgeholt wurde. Das war wohl der mit Abstand aufregendste Tag in meinem Leben. Zum einen habe ich mich so gefreut und gleichzeitig war ich unbeschreiblich aufgeregt. Seitdem ist so viel passiert und ich habe unendlich viele Erfahrungen gemacht, neue Leute kennengelernt, eine mir zuvor unbekannte Kultur erforscht und meinen eigenen Horizont erweitert. Mit meiner Gastfamilie, also den Gasteltern und einer Gastschwester, habe ich auf einer Ranch im ziemlichen Nirgendwo gewohnt. Auch wenn die weiten Entfernungen manchmal nervig sein können, wurde das alles von unserem privaten See und dem unendlich weiten Land wettgemacht. Auf der anderen Seite des Sees wohnten die Großeltern in einem wunderschönen „Loghouse“, das ganz traditionell eingerichtet ist und an Weihnachten eine tolle Kulisse für jeden typisch amerikanischen Weihnachtsfilm hätte sein können. Schon von Anfang an hat mir meine Gastfamilie das Gefühl gegeben, dass ich ein vollwertiges Mitglied ihrer Familie bin.

Dort angekommen, ging es ohne Vorwarnung direkt von null auf hundert los, denn schon an meinem zweiten Tag in den USA ging es für mich zum ersten Mal in die High School. Man denkt immer, man kennt die USA aus Film und Fernsehen, und auch wenn ich mir nicht allzu selten so vorkam, als wäre ich in einem klassischen High-School-Film gelandet, gab es so einige Dinge, die komplett neu für mich waren und an die ich mich erst einmal gewöhnen musste. An kleine Sachen, etwa dass wir meist nur von Papptellern aßen, oder insgesamt das Essen, wie groß mir dort zu Beginn alles vorkam, aber auch zum Beispiel wie Freundschaften dort funktionieren. Aber auch die Schule war anders und hat mir dort irgendwie mehr Spaß gemacht. Zum einen, weil mir der Schulstoff viel leichter gefallen ist, aber auch, weil die Schule nicht nur aus Lernen besteht, sondern jeder Schüler die Möglichkeit bekommt, Fächer zu wählen, die seinen Interessen entsprechen. Somit wird die Schule mit Hobbys und Freizeitaktivität verbunden. In den USA spielen Sport, Musik oder Kunst eine ebenso große Rolle wie die akademische Bildung in der Schule und wird stark gefördert. Dadurch entsteht ein sehr starker „School-Spirit“, der mich begeistert hat und an dem ich natürlich selbst teilhaben wollte. Also bin ich der Band beigetreten, außerdem wollte ich im Softballteam meiner Schule spielen, aber da ich leider nicht in das Team aufgenommen werden konnte, hatte ich dennoch die Möglichkeit, als Softball-Manager ein Teil des Teams zu sein. Egal, welche Sportart, eigentlich war immer die gesamte Schule anwesend, um ihr Team zu unterstützen. Das hat sich gut angefühlt und so hatte man auch gleich eine Gelegenheit, seine Freunde zu treffen.

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Jeden Morgen mussten alle Schüler sich erheben und den „Pledge of Allegiance to the Flag of the United States of America“ und den „Pledge of the Texan Flag“ aufsagen, was für mich sehr ungewohnt war. Ich denke, speziell in Texas sind die Leute sehr stolz auf ihr Land. Natürlich war der kulturelle Austausch nicht ganz einseitig. Ich würde behaupten, dass meine Gastfamilie und Freunde in den USA durch mich die Möglichkeit hatten, einen Einblick in die deutsche Kultur zu erhalten. Ich habe nicht nur Geschichten geteilt, sondern auch traditionelle Gerichte, Bräuche oder deutsche Feste dort vorgestellt. Zum Beispiel wurde Silvester bei meiner Gastfamilie normalerweise nicht gefeiert, aber weil ich da war, haben sie sogar original Schweizer Käsefondue gemacht, und es hat ihnen so gut gefallen, dass sie diese Tradition weiterführen möchten. Genauso habe ich auch einige amerikanische Traditionen und Gewohnheiten mit nach Deutschland gebracht. Über den Alltag hinaus habe ich die Möglichkeit gehabt, andere Teile von Texas kennenzulernen und sogar weitere Staaten. Ich war mit meiner Gastfamilie in Dallas und Fort Worth auf einer sogenannten „Exposition and Livestock Show“, wo wir unsere Hasen ausgestellt und mit ihnen an einem Wettbewerb teilgenommen haben. Mit dem PPP waren wir auf einem „Mid Term Seminar“ in Washington D.C. und haben die Stadt erkundet. Es war ein schönes Erlebnis, die anderen Austauschschüler wiederzusehen und Erfahrungen auszutauschen. Mit dem „Spanish Club“ meiner Schule waren wir in San Antonio, mit meiner Gastfamilie war ich auch noch in Indianapolis, St. Louis, Austin und Campen in Saint Macros und mit dem „Youth Symphony Orchestra“ in Oklahoma City. In diesem Orchester habe ich außerhalb der Schule jeden Sonntag in Wichita Falls, einer Stadt circa eine Stunde entfernt von unserem Wohnort, gespielt.

Dieses Jahr hat mir jedoch nicht nur tolle Erlebnisse geschenkt, sondern ich habe auch Freundschaften fürs Leben schließen können.“

Ein weiteres Ereignis, das zur echten High-School-Experience dazugehört, war der „Prom“ mit all seinem Drama. Es ging schon los bei der Kleidersuche und originellen „Prom Proposals“. Am Prom-Tag selber haben alle mit ihren Wahnsinnskleidern tausende von Fotos gemacht und am Abend ging es zu dem „Ball“. Auch zu Hause gab es oft Spannendes und Neues zu erleben. Wie zum Beispiel das Jagen – ich durfte zwar selbst nicht schießen, aber es war trotzdem sehr aufregend, als meine Gastschwester ihr erstes Wildschwein geschossen hat. In unserem See konnte man perfekt fischen und so hat es nicht lange gedauert, bis ich selbst die Angel geschwungen habe und meine ersten Fische am Haken hatte. Zum echten Countryleben hat natürlich auch ein großes Rodeoturnier dazugehört. Einfach verrückt, wie es da zugeht, mit großen Bullen, echten Cowboys und wahnsinnig guten Western-Reitern. An den Wochenenden sind ich und meine Gastschwester oft auf dem großen Land herumgefahren und haben unsere Begeisterung fürs Fotografieren ausgelebt. Dieses Jahr hat mir jedoch nicht nur tolle Erlebnisse geschenkt, sondern ich habe auch Freundschaften fürs Leben schließen können, nicht nur mit Amerikanern, sondern auch mit anderen Austauschschülern aus ganz Deutschland. Durch ähnliche Erlebnisse fühle ich mich mit ihnen besonders verbunden, denn ich glaube, das Gefühlschaos eines Austauschschülers kann man nur nachvollziehen, wenn man einmal in derselben Situation gesteckt hat. Und auch persönlich habe ich mich in diesem Jahr weiterentwickelt.

Man hat die Gelegenheit, unabhängig zu denken, aus einer anderen Perspektive, sich eine eigene Meinung zu bilden oder Dinge zu hinterfragen.

Natürlich ist nicht immer alles einfach, wenn man ganz allein in eine neue Umgebung kommt, aber genau aus diesen schwierigen und nicht ganz so schönen Momenten habe ich das Meiste gelernt. Man lernt, diese zu akzeptieren, und ich weiß manchmal selbst nicht, wie, aber irgendwie ist es mir immer gelungen, positiv zu denken und eben die kleinen schönen Dinge zu sehen. Es hat mir die einzigartige Möglichkeit gegeben, einmal alles aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Man hat die Gelegenheit, unabhängig zu denken, aus einer anderen Perspektive, sich eine eigene Meinung zu bilden oder Dinge zu hinterfragen. Dadurch, dass ich eine andere Kultur kennengelernt habe, hat es mir auch geholfen, meine eigene besser zu verstehen und zu schätzen. Automatisch vergleicht man immer sofort alles mit dem, was man gewohnt ist und was man kennt, obwohl das manchmal nicht die beste Idee ist, um sich in seiner jetzigen Situation gut zu fühlen. Mir ist bewusst geworden, dass man oft aber auch einfach die Unterschiede akzeptieren muss und das jeweilige System seine eigenen Abläufe und Eigenschaften hat. Beispielsweise funktionieren Freundschaften völlig anders in den zwei Ländern, und wahrscheinlich werde ich mich nie zu hundert Prozent daran gewöhnen, wie es in den USA läuft, aber in dieser Kultur, in diesem System funktioniert es. Nur weil einem etwas anderes vertraut ist, heißt es nicht, dass das andere schlecht sein muss. Oft muss man sich selbst etwas anpassen. Trotz allem habe ich natürlich immer versucht, so viel wie möglich ich selbst zu sein. Dabei muss ich aber auch ehrlich sagen, dass es gefühlt nicht möglich ist, in einer anderen Familie hemmungslos man selbst zu sein, denn man diskutiert nicht lange mit seinen Gasteltern, sondern macht, was sie einem sagen, und will so wenig Probleme wie möglich verursachen.

Es war, als hätte ich einfach nur wieder auf die Play-Taste gedrückt und alles war noch exakt so, wie ich es hinterlassen habe.

Um ganz offen zu sein, könnte ich mir nicht vorstellen, für immer in den USA zu leben, aber es war die beste Entscheidung meines bisherigen Lebens, ein Jahr aus meiner Komfortzone hinauszugehen. Ich habe mein gesamtes gewohntes Umfeld hinter mir gelassen, meine Familie, Freunde, meinen Alltag und alles andere, das in meinem Leben eine wichtige Rolle spielt. Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich in diesem einen Jahr in einem parallelen Universum gelebt, mein komplettes Leben war einfach so anders, dass es sich oft für mich wie ein anderes eigenständiges Leben angefühlt hat. Als ich zurückkam, war es jedoch unerwartet ähnlich wie vor meiner Abreise. Es war, als hätte ich einfach nur wieder auf die Play-Taste gedrückt und alles war noch exakt so, wie ich es hinterlassen habe – als hätte ich das gesamte letzte Jahr einfach nur verschlafen, dabei ein bisschen von Abenteuer in Amerika geträumt und einige Kleinigkeiten verpasst. Dieses verwirrende Gefühl ist nicht zu beschreiben, und genauso unmöglich ist es in Worte zu fassen, wie viel mir dieses Auslandsjahr bedeutet. Und so danke ich denjenigen, die mir diesen Aufenthalt ermöglicht haben und kann allen nur empfehlen, sich auch auf dieses Abenteuer einzulassen.

Elisa Kleinstück, 18, arbeitet auf ihr Abitur hin. Sie engagiert sich weiterhin mit viel Freude für Ihre Austauschorganisation um ihre Erfahrungen zu teilen und ihre Begeisterung für den Schüleraustausch weiterzugeben.

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