Als Au-Pair in Philadelphia

Die beste Entscheidung meines Lebens

weltweiser · Erfahrungsbericht Au-Pair - Philadelphia - Gastfamilie
GESCHRIEBEN VON: SHIRIN GHOTBI
LAND: USA
AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
PROGRAMM: AU-PAIR
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
Nr. 5 / 2015, S. 41-42

„Wie geht es nach der Schule weiter? Studieren oder doch lieber arbeiten? Von dreizehn Jahren Schule erholen oder ein Freiwilliges Soziales Jahr machen?“ Diese Fragen schwirrten mir bereits in der Realschule durch den Kopf.

Nach einigen Internetrecherchen hatte ich mir zunächst ein High School-Programm in den USA herausgesucht. Jedoch musste ich mich von dieser Fantasie ganz schnell wieder verabschieden. Im Endeffekt wäre es viel zu teuer geworden und meinen Eltern wollte ich nicht zu sehr zur Last fallen. Dennoch wollte ich nicht zu schnell die Flinte ins Korn werfen. Bei weiteren Recherchen wurde ich auf das Au-Pair-Programm aufmerksam. Dafür musste ich jedoch volljährig sein, also machte ich doch erst mal mein Abitur, denn mit süßen 16 Jahren waren meine Möglichkeiten ziemlich begrenzt. Drei Jahre später sahen meine Chancen schon ganz anders aus. Für die Bewerbung als Au-Pair musste ich Referenzen angeben, um zu belegen, dass ich bereits mindestens 200 Stunden mit Kindern gearbeitet hatte. Diese hatte ich unter anderem durch freiwillige Arbeit beim Kinderturnen meines Halbbruders gesammelt. Nachdem ich meine Kurzbewerbung bei meiner Agentur eingereicht, das Interview geführt und mein vollständiges Profil angefertigt hatte, ging es auch schon los mit der Suche nach einer Gastfamilie.

Der erste Familienvorschlag ließ ganz schön lange auf sich warten, und ich hatte fast schon die Hoffnung aufgegeben, doch schließlich meldete sich eine Familie aus San Francisco. Letztendlich kamen wir jedoch nicht zusammen, da sie jemanden suchten, der Erfahrung mit behinderten Kindern hatte. Nach zwei weiteren erfolglosen Vorschlägen hatte ich endlich meine Traumfamilie im Profil. Meine Gasteltern, beide Ärzte, lebten in einer Vorstadt von Philadelphia und hatten Zwillinge im Alter von 16 Jahren. Das Mädchen, Erin, war bereits sehr selbstständig, der Junge, Luke, war Autist. Nach einem tollen Telefonat mit meiner zukünftigen Gastmutter und einem anschließenden Gespräch per Skype mit dem damaligen Au-Pair war ich mir ganz sicher, dass diese Familie die richtige für mich war. Das Bauchgefühl stimmte, auch wenn ich mir zuerst ein wenig Sorgen gemacht hatte, da ich keinerlei Erfahrungen mit Autisten besaß. Jedoch versicherte mir das damalige Au-Pair, dass sie vorher auch noch nie mit behinderten Kindern gearbeitet hätte und dass Luke schon ziemlich selbstständig wäre, daher war ich beruhigt. Als Nächstes musste ich zur Botschaft nach Frankfurt fahren, um ein Visum zu beantragen. Nach einem 30-minütigen Aufenthalt in der Botschaft und fünf Tagen Wartezeit hatte ich endlich meinen Reisepass inklusive Visum in den Händen. Nun musste ich nur noch zu diversen Ärzten gehen, um mich gegen alles Mögliche impfen zu lassen, und die Vorsorgeuntersuchungen für das nächste Jahr zu erledigen.

Dann war es endlich so weit, mein Traum, auf den ich drei Jahre warten musste, ging in Erfüllung. Nach einem tränenreichen Abschied am Flughafen von meinen besten Freunden und meiner Familie landete ich zwölf Stunden später in New York City. Zusammen mit rund 200 anderen Mädchen aus aller Welt nahm ich an einem dreitägigen Orientierungsseminar teil. Dort lernte ich viele tolle Menschen kennen, auch einige aus Deutschland, mit denen ich während des gesamten Jahres in Kontakt stand. Am letzten Tag der Vorbereitung konnte man die Anspannung im Raum förmlich spüren. Endlich war es so weit, wir durften unsere Gastfamilien kennenlernen. Einige wurden bereits am Hotel abgeholt, aber für die anderen, so wie für mich, ging die Reise mit dem Zug, Bus oder Flugzeug weiter. Ich reiste mit dem Zug von Stamford nach Philadelphia. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir endlich an. Als ich meine Gastmutter Annie begrüßen durfte, fiel mir eine große Last von den Schultern. Ich wurde sehr herzlich aufgenommen und auf der 40-minütigen Fahrt wurde das Eis schnell gebrochen. In meiner neuen Heimatstadt angekommen, durfte ich meinen Gastvater David begrüßen und zusammen mit seiner Frau stellte er mir mein neues Zuhause vor. Erin war zu dem Zeitpunkt auf einer Studienreise in Madrid, sodass ich sie erst gut einen Monat später kennenlernen konnte, und Luke lag bereits im Bett.

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Da ich am Wochenende angekommen war und meine Gasteltern mir noch etwas Zeit geben wollten, um mich einzuleben, begann mein erster Arbeitstag erst am Montag. Annie war allerdings stets an meiner Seite. Mein Arbeitsleben bestand daraus, dass ich Luke dienstags bis donnerstags von 7 bis 8 Uhr Frühstück zubereitete, seine Lunchbox vorbereitete und ihm beim Anziehen half. Unter der Woche verbrachte ich täglich ab 15 Uhr Zeit mit ihm, bis er schlafen ging. Mit seinen Hauslehrern, die zu uns kamen, übte er alltägliche Dinge im Haushalt, die für ihn als Autist keine Selbstverständlichkeit waren. Im Nachhinein betrachtet dauerte es wohl einen Monat, bis Luke und ich uns aneinander gewöhnt hatten und vor allem, bis wir einander vertrauten. Nach dem ersten Monat wusste er allerdings, dass er mich nicht an der Nase herumführen konnte. Seine geliebten Snacks musste er sich erst verdienen. Mit Erin verstand ich mich dank des geringen Altersunterschieds von nur drei Jahren von Anfang an sehr gut und sie wurde zu einer richtigen Gastschwester für mich.

„Gleich an meinem ersten Wochenende in den USA traf ich mich mit einem anderen Au-Pair“

Meine Gasteltern hatten mir bereits in Deutschland per E-Mail mitgeteilt, dass ich als Gastgeschenk mit Annie und Erin auf ein Konzert von Justin Timberlake und Jay-Z gehen würde. Es war ein besonderes Gefühl, als Familienmitglied an einem solchen Erlebnis teilzuhaben. Außerdem war es das erste Mal, dass ich in einem Baseballstadium war, und die Stimmung war einfach fantastisch. Dies sollte auch nicht das letzte Konzert während meines Aufenthalts gewesen sein. Dank des wöchentlichen Taschengelds konnte ich die Auftritte von Pitbull, Miley Cyrus, One Direction, Beyonce, Jason Derulo, Avril Lavigne und vielen weiteren Stars erleben. Solche Erlebnisse wurden erst richtig besonders, wenn man Freunde hatte, mit denen man sie teilen konnte. Ich konnte mich glücklich schätzen, bereits erste Kontakte in Deutschland geknüpft zu haben. Gleich an meinem ersten Wochenende in den USA traf ich mich mit einem anderen Au-Pair. Zu dem Zeitpunkt kannte ich mich noch nicht in meiner neuen Heimat aus, und mit meinem Handy hatte ich keinen Zugriff auf Facebook, um mich mit dem anderen Au-Pair zu verständigen, daher trafen wir uns erst nach einer 30-minütigen Verspätung und nur mit sehr viel Glück. Bald darauf wurde ein Treffen mit den anderen Au-Pairs aus Philadelphia veranstaltet. Daraus entwickelten sich mehrere Freundschaften, nach wenigen Monaten hatte ich einen festen Freundeskreis, und wir unternahmen einige Städtetrips.

„Seitdem hatte mich das Reisefieber gepackt“

Das Rezept für neue Freundschaften ist meiner Meinung nach, offen und ehrlich zu sein, und sich nicht zu verstellen. Ich erlebte die Freundschaften in den USA viel intensiver als die in Deutschland. Sicherlich lag das daran, dass wir so viel Neues zusammen erlebten. Außerdem war die Zahl der Kontakte in den USA begrenzt, daher unternahmen wir sehr viel miteinander, ohne dass es zu Streitereien oder zu einem Auseinanderleben führte. Einer der wichtigsten Gründe, als Au-Pair in die Vereinigten Staaten zu kommen, war für mich die Möglichkeit, das Land so viel wie möglich zu erforschen und zu bereisen. Natürlich musste ich mir dafür jeden Monat Geld zur Seite legen und sparsamer bei anderen Aktivitäten sein, aber ich kann es jedem empfehlen. Für meine erste Reise ging es mit zwei Freundinnen nach Kanada zu den Niagara Falls. Vier Tage und unzählige Busstunden später konnte ich meinen Eltern in Deutschland und meinen Gasteltern ganz stolz von den wunderschönen Momenten beim Sonnenuntergang und von Toronto bei Tag zählen. Seitdem hatte mich das Reisefieber gepackt, und in meiner ersten Ferienwoche fuhr ich mit einem anderen Au-Pair nach New Orleans, um von dort aus die Südstaaten zu erkunden. Auf unserer Route besichtigten wir Atlanta mitsamt einer Führung am Drehort der Serie „Vampire Diaries“ und reisten nach Savannah und Charlotte. Die Erinnerungen an diese außergewöhnliche Woche werden mir für immer erhalten bleiben.

“So traurig dieser Moment sein wird, bedeutet dies keinen Abschied für immer“

Für den irischen Feiertag „St. Patrick’s Day“ und den typisch amerikanischen „Spring Break“, wie man ihn aus unzähligen Filmen kennt, reiste ich mit meinen drei besten Freundinnen nach Miami. Dieses Erlebnis musste man selbst mitgemacht haben, um es tatsächlich zu glauben. Meine letzte Reise brachte mich nach „Windy City“, wie Chicago häufig genannt wird. Diese Stadt stand dem Big Apple in nichts nach. Die Stadt war wunderschön und sehr beeindruckend, vor allem der Blick aus dem 103. Stockwerk, von wo aus man bis zu den angrenzenden Staaten schauen konnte. In ein paar Monaten wird es dann Zeit, Abschied von den besten Freunden zu nehmen. So traurig dieser Moment sein wird, bedeutet dies keinen Abschied für immer. Bei all den gemeinsamen Abenteuern, die wir erlebt haben, wird der Ausspruch „aus den Augen, aus dem Sinn“ keine Bedeutung für uns haben. Ich bin mir ganz sicher, dass ich in Amerika Freundschaften fürs Leben geschlossen habe und auch in Zukunft bei allen Unternehmungen auf Unterstützung zählen kann. Als Au-Pair in die USA zu kommen, war die beste Entscheidung meines bisherigen Lebens.

Shirin Ghotbi, 21, lebt zurzeit noch als Au-Pair in den USA. Nach ihrer Rückkehr möchte sie in Deutschland International Business studieren und sich später im Bereich Marketing spezialisieren.

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