International Baccalaureate in Kanada und Israel
„Good night! Leila tov! Gute Nacht! Bonne nuit!“ – Moment, welche Sprache war das gerade? Welche sollte es denn sein? Was habe ich gerade gesagt? Oft finde ich das ein oder andere fremdsprachige Wort in meinen deutschen Sätzen wieder, die ich mit meiner Familie austausche. Wenn ich dann aber skype oder im Ausland bin, ist es doch ein deutsches Wort, das jetzt perfekt in die Situation passen würde, mein Gegenüber jedoch nicht versteht. Das Sprachenlabyrinth ist somit komplett.
Oft fehlt das richtige Wort in der passenden Sprache, „beeil dich“ drückt einfach nicht dasselbe aus wie „Yalla“, ein Wort, dass ich während meines zweijährigen Aufenthalts im Nahen Osten zu meinem persönlichen Wörterbuch hinzufügte. „Good night“ sagte ich täglich zu meinen „roommates“ und nach wie vor oft unabsichtlich zu meiner Mutter. Selbst beim Schreiben dieses Textes schwirren Wörter aus dem deutschen, englischen und französischen Sprachschatz durch meinen Kopf und kämpfen um ihren Platz. Ein solches Sprachenlabyrinth kommt bei Auslandsaufenthalten vor und steht insbesondere nach einer Rückkehr, bei der man nach wie vor mit seinen neuen Freunden in Kontakt steht, auf der Tagesordnung. Wie es bei mir dazu kam?
Vor ein paar Jahren ging ich für ein Schuljahr in den bilingualen Teil Kanadas, genauer gesagt nach Québec, in die Großstadt Montréal. Dort lebte ich bei einer bilingualen Gastfamilie. Meine damalige Gastmutter spricht ausschließlich Französisch, eine stolze „Québecoise“ eben, während mein amerikanischer Gastvater Englisch mit mir sprach. Wenn wir zu dritt waren, sprachen wir allerdings Französisch. Derselbe Trend setzte sich an meiner Schule fort, an der Fächer sowohl auf Englisch als auch auf Französisch unterrichtet wurden. Im Rahmen meines International Baccalaureate Middle Years Programme (IB MYP) stand auf meinem Stundenplan English A: Language and Arts und Historie-éducation citoyennéte, gefolgt von Science and Environmental Technology und Éthique et culture religieuse. So stand das bunte Gemisch der Sprachen bereits während meines Auslandsaufenthaltes auf der Tagesordnung. Nichtsdestotrotz bereue ich die Entscheidung, in den bilingualen Teil Kanadas gegangen zu sein, bis heute nicht. Da ich bereits mit Vorkenntnissen in beiden Sprachen angereist bin, konnte ich mit deutlich verbessertem Wissen in beiden Sprachen nach einem wunderbaren Jahr wieder in das Flugzeug steigen.
Dieses wunderbare Jahr war zudem von zahlreichen Reisen mit meiner Gastfamilie geprägt. So wurde mir bewusst, wie sehr ich das Reisen doch liebe. Unter anderem ging es für uns auf Familienreisen durch Kanada, von Toronto und den Niagarafällen als westlichsten Punkt bis nach Nova Scotia, und horizontal auf einer Karte gesehen vom Norden Québecs bis in zahlreiche Staaten der USA, mitsamt einer Kreuzfahrt in die Karibik. Zu dieser Kreuzfahrt kam es durch einen nicht wirklich ernst gemeinten Kommentar meinerseits. Eines Abendessens sagte ich scherzhaft zu meinen Gasteltern, die Kreuzfahrtliebhaber sind, dass wir doch einfach mal gemeinsam fahren könnten, und sie nicht bis nach meiner Abreise warten müssten. Kurze Zeit später waren wir schon im Internet und standen in der Küche, um „Cornets sucré“ und „chocolat sucré salé“ zu backen, die wir an Freunde und Arbeitskollegen meiner Gasteltern gegen eine kleine Spende für die Kreuzfahrtkasse verkauften. Dies klappte besser als erwartet, und so machten wir uns im Mai auf nach New York, um das Schiff in die Karibik zu besteigen. Dabei überwand ich meine bisherigen Ängste vor solchen Schiffen, obwohl die Nachrichten doch immer wieder von Unglücken berichten. Mein Lieblingsfoto dieser Kreuzfahrt schmückt nach wie vor meinen Handyhintergrund, mein Zimmer und das Büro meines Gastvaters.
„Ich beschloss, das zweijährige Programm zu belegen“
Die Reiselust ist bei mir bis heute nicht verflogen, und so arbeitete ich nicht lange nach meiner Rückkehr aus Kanada bereits an meinem nächsten Abenteuer. Ich fand ein zweijähriges internationales Schul-Programm und schickte meine Bewerbung ein. Meine Mutter meinte, als ich ihr davon erzählte, noch schmunzelnd: „Ja, schauen wir mal.” Dies tat ich dann auch entschlossen und füllte Unterlagen um Unterlagen aus, verfasste Aufsatz um Aufsatz und führte Interview um Interview, bis ich schließlich eine Zusage erhielt. Daraufhin flog ich nach Tel Aviv, um mir selbst ein erstes Bild zu machen. Ich beschloss, das zweijährige Programm zu belegen, welches ich nun erfolgreich abgeschlossen habe. Die vergangenen zwei Jahre lebte ich gemeinsam mit vielen internationalen Jugendlichen auf einem Schulcampus nördlich von Tel Aviv. Akademisch arbeiteten wir an dem International Baccalaureate Diploma Program, einem internationalen Schulabschluss. Für diesen wählt jeder Kandidat sechs Kurse: eine Sprache auf Muttersprachen- und eine auf Fremdsprachenniveau oder eben zwei auf Muttersprachenniveau, eine Geisteswissenschaft, eine Naturwissenschaft, Mathematik und ein Fach aus dem Kunstbereich oder wahlweise ein zweites aus einer der bereits erwähnten Gruppen. Zusätzlich gibt es den Theory of Knowledge-Kurs, der dazu da ist, Schüler zum Nachdenken und Hinterfragen anzuregen. Weiterhin verfasst jeder Schüler einen sogenannten „Extended Essay“, einen 4.000 Worte langen wissenschaftlichen Aufsatz zu einem selbstgewählten Thema. Zu guter Letzt zählt zum IB auch noch CAS, Creativity Action Service, bestehend aus zahlreichen außerschulischen Gruppen, wie unter anderem dem Journalism Club, dem Announcements Team, Basketball, MUN (Model United Nations), je nach Wahl. Wir beschäftigten uns zudem mit Aktivitäten rund um das Ziel der Schule, welche für Frieden und Nachhaltigkeit im Nahen Osten steht. Allein der Schulstandort in diesem Gebiet erlaubte mir, tiefer in die Situation einzutauchen und zahlreiche Blickwinkel kennenzulernen.
„Ein Zimmer teilte ich mir im ersten Jahr mit drei weiteren Mädchen aus Asien, Osteuropa und dem arabischen Raum“
Im Vergleich zu meinem vorherigen Auslandsaufenthalt in Kanada lebte ich dieses Mal „on campus“ in sogenannten „dorms“. Ein Zimmer teilte ich mir im ersten Jahr mit drei weiteren Mädchen aus Asien, Osteuropa und dem arabischen Raum und im zweiten Jahr mit Mädchen aus Ozeanien, Nordamerika und Asien. Oft hörte ich daher Gespräche in verschiedenen Sprachen von Hebräisch über Arabisch bis hin zu Russisch und Khmer (Sprache in Kambodscha). Aus einigen Sprachen wurden die nützlichsten Wörter einfach zu der am Campus herrschenden Umgangssprache Englisch übernommen. Gemeinsam teilten wir uns ein Zimmer bestehend aus vier Kleiderschränken und Schreibtischen sowie zwei Etagenbetten und einem Bad. Ich hätte es mir schwieriger vorgestellt, mit anderen auf recht engem Raum zu leben, doch wir knüpften recht schnell neue Freundschaften. Daher war es auch naheliegend, dass meine Mitschülerin aus Kambodscha die Winterferien nicht alleine, sondern gemeinsam mit mir zu Hause verbrachte. So stieg auch sie kurz vor dem 24. Dezember ins Flugzeug, um sich zu ihrer allerersten Weihnachtsfeier aufzumachen. Wir stimmten uns ein durch Kekse backen, Geschenke besorgen und dekorieren, gefolgt von Sightseeing-Touren, um die Highlights meiner Heimatstadt zu erkunden. Die Zeit verging wie im Flug und nach wenigen Tagen fuhren wir wieder zum Flughafen, um in das Flugzeug, das uns wieder zurück nach Tel Aviv brachte, zu steigen.
„Wir stürzten uns in einen Lern- und Abgabemarathon“
Nun hatten wir noch wenige Monate vor uns, um unsere Schulpflichten zu erledigen und unser Abenteuer an der Eastern Mediterranean International School mit einem IB-Abschluss offiziell zu beenden. Wir stürzten uns in einen Lern- und Abgabemarathon. Dieser hielt lange an und umfasste die Abgabe des Extended Essays, die 15-seitigen IAs oder Internal Assessments in jedem Fach, Präsentationen sowie das Einprägen unserer Mitschriften für die Probeprüfungen oder „mock exams“ und letztendlich für die Abschlussprüfungen oder „final exams“. Rückblickend war alles halb so schlimm. Während dieser Phase wollte ich, obwohl ich kein Freund von Schwimmbädern bin, einfach nur ins Wasser springen. Immerhin herrschte draußen mit 30°C und strahlendem Sonnenschein das perfekte Badewetter. Bald hatten wir die Prüfungen geschafft und konnten das Wetter auch endlich genießen. Die Anspannung der Prüfungstage fiel ab und wenige Tage später standen bereits „Prom“ und „Graduation“ auf dem Programm. Schnell zogen wir uns noch zweimal schön an, packten unsere Sachen und schon stand ich wieder am Flughafen auf dem Weg „nach Hause“. Aber „nach Hause“ ist nun nicht mehr ganz klar für mich. Zunächst ging es also für eine kurze Woche in mein erstes Zuhause, bis ich kurz darauf mein zweites Zuhause in Kanada ansteuerte, um meine Gastfamilie und zwei erst kürzlich verabschiedete Freundinnen wiederzutreffen. Neben gemütlichen Einkaufsbummeln, Gärtnern und Motorradtouren stand auch wieder ein neues Fotogeschenk und eine Sachertorte bei meiner Gastfamilie auf dem Tisch. Ich verbrachte eine harmonische und gute Zeit, genoss es, alle wiederzusehen und nochmals über dieselben Witze zu lachen.
„Man ist aus der typischen Touristenrolle ausgestiegen und tiefer in Land und Kultur eingetaucht“
Die Verabschiedungen und Begrüßungen fielen in diesem Monat besonders rasch und schlussendlich landete ich am Flughafen, den meine Mutter und ich schon fast blind kennen. Nun stellt sich nur die Frage, wann ich diesen wiedersehen werde und wohin es mich verschlagen wird. Ehrlich gesagt, bin ich selbst schon sehr gespannt darauf. Einmal im Ausland und wieder zu Hause, bleibt es einfach ein gewisses Hin und Her, vorausgesetzt, man ist aus der typischen Touristenrolle ausgestiegen und tiefer in Land und Kultur eingetaucht. Ein sprachlicher sowie gedanklicher Fluss bildet sich, den man jedoch mithilfe der aus Erfahrungen gebildeten Brücke gut überwinden kann, zumindest in den meisten Situationen. Nun sitze ich wieder in demselben Zimmer wie vor den beiden Auslandsaufenthalten, gehe jedoch Aufgaben anders an, denke unterschiedlich und drücke mich auch gerne in mehreren Sprachen aus. Ich konnte Menschen, die verstreut über alle Kontinente leben, kennen und schätzen lernen. Umso wichtiger ist es mir daher, weiterhin mit ihnen in Kontakt zu bleiben, sei es durch das Verschicken von Nachrichten, Fotos und Postkarten oder gelegentliches Skypen. Eins ist mir zwar bewusst, jedoch habe ich es noch nicht ganz akzeptiert, dass es nie so sein wird, wie es einmal war. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen freue ich mich bereits, die nächsten Flüge zu buchen, um Neues zu entdecken oder alle wiederzusehen und zu umarmen und Spaß zu haben. Ganz nach dem Motto: „Talk to you soon and see you eventually!“
Anna-Sophie Kräftner, 19, studiert Internationale Betriebswirtschaft und Transkulturelle Kommunikation und plant schon jetzt ihre nächsten Reisen.
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