Freiwilligenarbeit in Ecuador
Als ich meiner damaligen Mitbewohnerin von dem Freiwilligenprojekt mit dem Titel „Totally unique English teaching opportunity in remote Ecuadorian Amazon village“ erzählte, erklärte sie mir, ich sei nun völlig verrückt geworden. Sie ist Mexikanerin und wir lebten zu diesem Zeitpunkt seit etwa zwei Monaten gemeinsam in Barranquilla im Norden Kolumbiens, wo wir an derselben Uni ein Auslandssemester machten.
Bis zu ihrem Auslandssemester hatte sie wohl noch nie einen längeren Stromausfall erlebt oder irgendeine Besorgung ohne ihr Auto gemacht. Klar, dass sie erstmal geschockt war, als ich ihr von meinem Vorhaben erzählte: Um in einem abgelegenen Dorf im Amazonasgebiet Ecuadors Englisch zu unterrichten würde ich zwei Monate lang in der kleinen indigenen Gemeinde leben, fern von öffentlichen Verkehrsmitteln, Strom und fließendem Wasser sowie jeglichem Handyempfang. Zugegeben: Ich habe es mir selbst zu Beginn nicht zugetraut – obwohl ich nach meinem Abitur bereits ein Jahr in Uganda gelebt hatte und obwohl mich das einfache Leben schon immer sehr angesprochen hat –, sodass ich mich zunächst nicht auf das Projekt bewarb. Dass es mir jedoch seitdem nicht mehr aus dem Kopf ging, konnte ich aber nicht verhindern. Mir blieben noch etwa zwei Monate in meinem Auslandssemester an der kolumbianischen Partneruni und ich genoss diese Zeit sehr und reiste viel mit meinen neuen, liebgewonnenen Freunden aus aller Welt – hauptsächlich nach Mexiko, Peru und Kolumbien. Bevor es im Frühling nach Deutschland zurückgehen sollte, hatte ich jedoch noch ein paar Monate Freiwilligenarbeit in Südamerika eingeplant.
Nach einer kleinen Abschiedsfeier in meiner WG in Barranquilla flog ich also Ende November nach Cali im südlichen Kolumbien und reiste von dort mit dem Bus weiter in die ecuadorianische Hauptstadt Quito. Eine Stunde entfernt von Quito absolvierte ich meine erste kleine Freiwilligenarbeit, indem ich einer Familie bei der Gartenarbeit und Renovierung ihres neu gekauften, sehr großen Grundstücks half. Als Gegenleistung für meine Hilfe bekam ich ein kleines Zimmer und Verpflegung. Hier lernte ich auch zum ersten Mal, wie man mit einer Machete arbeitet – als Psychologiestudentin hat man damit ja im Alltag normalerweise nicht so viel Kontakt. Dass ich dieses praktische Garten- und Erntewerkzeug später noch als täglichen Lebensbegleiter kennenlernen würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht … Nach einer Woche bei der Familie zog es mich weiter in den Osten Ecuadors – Richtung Regenwald. Ecuador lässt sich vertikal in vier Zonen einteilen. Von links nach rechts sind das: die Galapagos-Inseln, die Pazifikküste, das Andenhochland und das Amazonasgebiet. Als der Busfahrer kurz vor Ende der sechsstündigen Busfahrt von Quito nach Puyo kurz die Fenster öffnete, wusste ich, dass ich hier richtig war! Der Duft nach dem plötzlichen Starkregen erinnerte mich unvermeidlich zurück an meine Zeit im tropischen Uganda in Ostafrika – ähnlich dem Duft eines Sommerregens in Deutschland, aber doch anders und für mich eine wunderbare Erinnerung. Bei meinem nächsten Freiwilligenprojekt in der Nähe von Puyo lebte ich in einer Familie, die ebenfalls Hilfe auf ihrem Grundstück, einem riesigen Waldstück, brauchte. Als ich mich abends beim Lagerfeuer mit meinem Gastgeber Patricio darüber unterhielt, wie fasziniert ich von der Reichhaltigkeit und Vielfalt des Regenwalds bin, erzählte er mir, dass er vor Kurzem in einem kleinen Amazonas-Dorf namens Suwa gewesen sei und die Freiwilligen dort besucht habe. Wie sich herausstellte, ist er mit dem Koordinator eben dieses Projekts, welches Freiwillige für den Englischunterricht im Regenwald suchte und das mir schon seit zwei Monaten nicht mehr aus dem Kopf ging, befreundet … Nach einer schlaflosen Nacht des Grübelns und beeinflusst durch die spannenden Erzählungen von Patricio bewarb ich mich dann doch auf das Projekt im tiefsten Regenwald Ecuadors. Einen Tag nach dem Skype-Bewerbungsgespräch auf Spanisch und Englisch kam die Zusage und so befand ich mich noch vor dem Jahreswechsel in Suwa.
Schon die Hinfahrt war spannend: Zunächst flog ich in einer winzigen Propellermaschine mit einem einzigen Piloten und einem der Fahrgäste als Co-Piloten über die Bäume und Flüsse des Regenwaldes, bis wir nach einer Stunde auf einem sandigen Untergrund landeten. Dort wurden ich und mein Gepäck (ich war vom Koordinator des Projekts angewiesen worden, genug Nahrungsmittel, Insektenschutzmittel und Toilettenpapier für zwei Monate mitzubringen) von einem der Dorfbewohner abgeholt, der mich in einer anderthalbstündigen Bootsfahrt in einem schmalen Kanu nach Suwa brachte, wo schon viele neugierige Kinder am Ufer warteten, um zu sehen, wie ihr zukünftiger „Teacher“ für die nächsten Wochen aussehen würde. Und hier begann mein Abenteuer. In den nächsten zwei Wochen lernte ich immer besser die vielen Kinder kennen, die meist entweder Geschwister waren oder Cousins und Cousinen. Das Dorf mit rund 100 Einwohnern bestand quasi aus einer großen Familie, das heißt einem Großelternpaar mit ihren zehn Kindern, den Ehepartnern und den vielen Enkelkindern. Ich versuchte so gut es ging, ihren bisherigen Wissensstand im Englischen in Erfahrung zu bringen und zu erweitern. Im Gegenzug dazu brachten die Kinder mir bei, über Feuer zu kochen, Fische zu fangen und Palmen zu fällen – und das alles eben mithilfe der lebenswichtigen Machete. Ein besonders prägendes Erlebnis war der Ausflug an meinem Geburtstag, zu dem mich ein zwölfjähriges Mädchen einlud. An diesem Tag liefen wir etwa vier Stunden auf – für mich unerkennbaren – Wegen durch den Regenwald (wo kein Weg war, schufen wir uns selbst einen, wiederum durch den Einsatz der praktischen Machete), aßen unterwegs das, was uns der Wald anzubieten hatte, und erfrischten uns in einem Wasserfall. Ohne meine kleine Freundin hätte ich jedoch wohl nie den Weg zurück zu dem kleinen Dorf gefunden.
„Auch im Englischunterricht war vieles neu, jedoch lernte ich bald, dass die Kinder gut im spielerischen und kreativen Lernen waren.“
Von Montag bis Freitag sollte planmäßig der Unterricht für die etwa 40 Schulkinder zwischen vier und 14 Jahren stattfinden. Der Lehrer des Dorfes, der gleichzeitig Onkel oder Vater der meisten Kinder war, teilte die Kinder normalerweise in zwei Gruppen auf. Er unterrichtete dann eine Gruppe in Spanisch, Mathe und Achuar (der Stammessprache der Dorfbewohner), während ich mich um die Fächer Englisch und Geografie kümmerte. Für die Kinder war allein die Vorstellung, dass es einen Unterschied zwischen Städten und Ländern, geschweige denn Kontinenten, geben könnte, schwer vorstellbar. Sie kannten nur das Dorf und den Fluss und manche einige umliegende Orte – falls sie schon einmal zum Gesundheitszentrum im nächsten Ort mussten oder ältere Geschwister hatten, die in anderen Dörfern zur Schule gingen. Auch im Englischunterricht war vieles neu, jedoch merkte ich bald, dass die Kinder gut im spielerischen und kreativen Lernen waren. An einem Wochenende half ich der Gemeinde, Palmenblätter, die die Nachbargemeinde zur Erneuerung eines ihrer Dächer benötigte, zu schneiden und zu sammeln. Hier wurden wir in den Pausen bestens von den Ehefrauen der Arbeiter mit Chicha, einem lokalen gegorenen Getränk aus Maniok, und sogar mit einem Fischeintopf zum Mittagessen versorgt. Auch wenn ich mit der Zeit immer besser lernte, am Feuer zu kochen, war ich für solche spontanen Einladungen immer sehr dankbar, da es schon sehr anstrengend war, das teilweise nasse Holz zum Brennen zu bringen, um am heißen Feuer meinen Fisch und die Kochbananen aus dem Garten zuzubereiten. Wie ich am Ende erfreut feststellte, hatte ich – dadurch, dass ich oft Kochbananen, Maniok oder Camote ernten konnte und von den Dorfbewohnern viele Früchte geschenkt bekommen hatte – bei meiner Abreise noch viele Lebensmittel wie Reis, Suppen und Gemüse aus der Dose übrig, die ich dann an die Familien verschenken konnte, die ja im Normalfall nicht einfach zum Einkaufen in die Stadt fahren können.
„Hin und wieder genieße ich nun auch den Luxus, nicht immer zunächst mein Mittagessen jagen oder sammeln zu müssen.“
Nach meiner Rückreise aus dem Regenwald war zunächst vieles ungewohnt für mich: der unglaublich klare Sternenhimmel und das laute Grillenzirpen in der Nacht waren wieder durch Busse, Autos und unzählige Menschenstimmen abgelöst worden. Außerdem erinnere ich mich noch sehr gut daran, wie ungewohnt es für mich war, wieder in geschlossenen Schuhen und über eine befestigte Straße zu laufen, ständig über Telefon und Internet erreichbar sein zu müssen und in einer normalen Dusche zu stehen. Dennoch bin ich auch froh, nun wieder zurück in meinem alten Leben zu sein und hin und wieder genieße ich nun auch den Luxus, nicht immer zunächst mein Mittagessen jagen oder sammeln zu müssen, auch wenn ich die vielen frischen Lebensmittel und vor allem die unglaublich süßen Früchte sehr vermisse. Die Kinder vermisse ich ebenfalls sehr und ich hoffe, dass sie mit den nächsten Freiwilligen, die nach Suwa kommen, weiter an ihren Englisch- und Geografiekenntnissen arbeiten und irgendwann – falls sie es denn möchten – vielleicht sogar noch mehr von Ecuador kennenlernen!
Verena Peters, 26, hat ihr Studium der Interkulturellen Psychologie im letzten Sommer abgeschlossen und arbeitet seitdem als Consultant für Change Management. Sie hofft sehr, dass sie über ihren Arbeitgeber in Zukunft die Möglichkeit hat, im Ausland zu arbeiten, bspw. in China oder der Türkei.
Lust auf mehr Erfahrungsberichte?
Dann klick auf den Freiwilligenarbeit-Koala!