Erfahrungsbericht einer Mutter
„Mama, ich möchte ein Auslandsjahr machen!“ Mit diesem Satz, fast ein wenig beiläufig von unserem Sohn geäußert, begann für uns eine sehr spannende Zeit. Bis dahin hatten wir, Eltern zweier Kinder, uns noch nie mit diesem Thema auseinandergesetzt.
Am Anfang noch ganz entspannt, schauten wir erstmal im Internet nach Möglichkeiten und Informationen. Fazit – es gibt spezielle Messen für ein solches Vorhaben, das Angebot ist riesig, die Auswahl sehr groß. Also machten wir uns auf den Weg nach Frankfurt zur JuBi. Mein Sohn und seine Freundin hatten die Länderauswahl schon auf Neuseeland, Australien und Kanada eingeschränkt und damit auch gleich nach den teuersten Möglichkeiten gegriffen. Es gab jede Menge verschiedene Anbieter, die alle nur das Beste versprachen. Einige wenige überraschten mich, weil man hier auch über negative Erfahrungen in Bezug auf Gastfamilien und Schulen informiert wurde. Wir waren ziemlich erschlagen von den ganzen Möglichkeiten und auch überrascht, wo man überall auf der Welt ein Auslandsjahr machen kann. Abends gingen wir mit vielen Info-Katalogen und einer eingeschränkten Länderauswahl nach Hause – es blieben Neuseeland und Kanada.
Die Euphorie nach dieser Veranstaltung war sehr hoch. Also beschlossen wir, das Ganze erstmal sacken zu lassen. Und tatsächlich war die Idee dann auch erstmal vom Tisch, bis Maxi plötzlich nach den Osterferien eines Abends von seiner Freundin nach Hause kam: „Ich gehe mit Lea nach Neuseeland.” Okaaaay … Bist du sicher? Nur wegen Lea? Jeder sollte sein Jahr allein machen! Denk nochmal drüber nach! Einige Tage später rief eine nette Mitarbeiterin einer auf Neuseeland spezialisierten Organisation an, ob wir noch Interesse am Auslandsjahr Neuseeland hätten – Zufall? Schicksal? Der Begriff „Auslandsjahr“ heißt nicht, dass man ein ganzes Jahr unterwegs sein muss. Möglich sind auch drei, sechs oder neun Monate. Finanziell macht das natürlich erstmal einen großen Unterschied, wobei das Preis-Leistungs-Verhältnis bei einem ganzen Jahr schon ausgewogen ist. Nachdem wir uns, jetzt schon etwas ernsthafter, ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt hatten, entschieden wir uns für ein ganzes Jahr, da man, nach Erfahrungsberichten zu urteilen, wohl vier bis sechs Monate braucht, um wirklich anzukommen, erste richtige Kontakte zu knüpfen und auch den Kulturschock zu verarbeiten.
Mit Einführung von G8 im hessischen Schulsystem blieb nicht mehr so viel Spielraum, wenn man nicht ein Jahr wiederholen möchte. Maxi hatte das Glück, von G8 in G9 wechseln zu können, sodass es kein Problem gab, ein Jahr ins Ausland zu gehen. In Neuseeland (sowie auch in Australien) beginnt das Schuljahr immer im Januar, was als Start in eine Klasse wahrscheinlich deutlich angenehmer ist. Das kam für uns allerdings nicht infrage, da Maxi definitiv die 10. Klasse und somit den sicheren Realschulabschluss vor seiner großen Reise abschließen sollte. Somit blieb nur der Start im Halbjahr. Obwohl wir eine relativ lange Vorbereitungszeit hatten, haben wir den konkreten Gedanken nach Unterstützung und Stipendien viel zu spät gefasst. Nicht, dass wir besonders vermögend wären, aber wir dachten einfach, dass wir durch unseren normalen Verdienst gar nicht infrage kommen. Es gibt zum einen einkommensabhängige Stipendien, was ich auch sehr wichtig finde, aber auch viele Stipendien, die über Leistung und soziales Engagement funktionieren. Im Nachhinein betrachtet hätten wir uns damit mehr und genauer beschäftigen müssen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten – Stipendien der Organisationen, des Bundes, des Landes etc. Außerdem bieten viele Firmen und Einrichtungen auch sogenannte Taschengeld- oder Teilstipendien an – denn auch im Ausland braucht das Kind regelmäßig Geld.
Für mich als Mutter war das ganze Wagnis genauso aufregend wie für mein Kind. Ich habe mich manchmal intensiver damit auseinandergesetzt als Maxi selbst. Nachdem die Reise also zunehmend konkrete Formen annahm, habe ich mir das Buch „Handbuch Fernweh – Der Ratgeber zum Schüleraustausch“, gekauft, einige Videos bei Youtube und einige Schüler-Blogs zum Thema angeschaut. Das war einerseits sehr gut und informativ, aber auch teilweise sehr beängstigend. Mir gingen 1.000 Dinge durch den Kopf. Ich habe Maxi oft sehr genervt und fast in den Wahnsinn getrieben und mein Mann musste ziemlich oft schlichten. Je näher der Abreisetag rückte, desto angespannter wurde ich. Als beruhigend empfand ich zum einen, dass er mehrere Flüge über viele Stunden und weite Distanzen nicht alleine absolvieren musste, und zum anderen sein Alter. Mit 17 war er mittlerweile so reif, dass ich ihm das Abenteuer voll und ganz zutraute. Mittlerweile habe ich sehr großen Respekt vor allen, die das in diesem jungen Alter schon durchziehen. Obwohl Maxi dann, wie seine Freundin Lea, nach Neuseeland ging, machte doch jeder sein Jahr alleine. Das fanden wir ebensowichtig wie Leas Eltern und letztendlich auch Maxi und Lea selbst. Maxi ging nach Wellington, Lea nach Kerikeri. Jeder machte also seine eigenen Erfahrungen und trotzdem hatten sie, wie gewünscht, etwas Gemeinsames.
„Der ganze Stress der letzten Wochen war vorbei und auf einmal war alles ruhig und leer.“
An einem Juliabend hieß es dann erstmal Abschied nehmen für eine lange Zeit. Der Tag verlief sehr emotional für uns, aber mit Betreten des Flughafens fühlte sich alles richtig an. Check-in und Kofferabgabe waren schnell erledigt, und die Zeit des endgültigen Abschiednehmens kam. Am nächsten Tag erhielten wir einen kurzen Anruf aus Hongkong – die erste Strecke sei anstrengend gewesen, aber gut. Um Mitternacht dann der Anruf aus Auckland – er sei gut auf neuseeländischem Boden angekommen. Nach weiteren vier Stunden war Wellington erreicht. Wir Eltern waren glücklich und Maxi völlig übermüdet. Die ersten zehn Tage bei uns zu Hause waren sehr ungewohnt und voller gemischter Gefühle. Ich habe nicht mal im Ansatz eine Idee, wie man das beschreiben soll. Der ganze Stress der letzten Wochen war vorbei und auf einmal war alles ruhig und leer. Ich hätte nie gedacht, dass es so schwer ist. Es ist eben nicht wie Klassenfahrt oder Trainingslager. Du weißt ganz genau, dass es jetzt ein Jahr dauert, bis er wieder zu Hause ist. Du siehst die Jacke am Haken und dir kommen die Tränen. Ständig schaut man gespannt aufs Handy, ob es irgendwelche Nachrichten gibt. Aber der Sohn machte sich rar. War das jetzt ein gutes oder schlechtes Zeichen? Nach den ersten Face-Time-Gesprächen und Fotos war klar: Es ging ihm richtig gut. Die Gastfamilie hat ihn super aufgenommen, die ersten sozialen Kontakte waren geknüpft und das neue Leben war spannend und schön. Das machte uns als Eltern natürlich glücklich und stolz und wir begannen, unsere „neue Freiheit“ zu nutzen. Mit der Zeit rannte ich nicht mehr als Erstes jeden Morgen ans Handy. Ich ließ ihm seine Zeit, freute mich über Nachrichten und wurde deutlich entspannter. Ich musste feststellen, dass mein Alltag deutlich an Maxi orientiert war und ich jetzt auf einmal jede Menge Freizeit hatte. Was macht man damit? Mein erster Gedanke war Extrem-Couching und Netflix.
„Ich lernte das Loslassen und lerne es immer noch.“
Sport war dann die ideale Lösung für mich. Ich versuchte drei Mal die Woche zu joggen und besuchte wöchentlich einen Deep-Work-Kurs. Es machte Spaß, ich konnte sehr gut abschalten und tat was nur für mich. Trotzdem fiel es mir sehr schwer, nicht mehr an allem in Maxis Leben beteiligt zu sein, drei Tage auf eine WhatsApp-Antwort zu warten oder überhaupt mal ein Foto zu bekommen. Aber ich lernte das Loslassen und lerne es immer noch. Und als Highlight für uns planten wir für die Weihnachtszeit auch einen Besuch in Neuseeland. Es war eine sehr gute Entscheidung, den Besuch in die Mitte von Maxis Aufenthalt zu legen, mal ganz abgesehen von den Vorteilen wie Urlaub und Jahreszeit. Anfangs war ich zögerlich aus Angst vor Heimweh, gar nicht mal von Maxi, eher von mir, weil ich mich nach unserem Urlaub ja noch einmal für knapp sechs Monate von ihm würde trennen müssen – also eher „Mutterweh“. Dies erwies sich jedoch als völlig unbegründet. Maxi war so gut integriert in die Familie, bei Freunden und in der Schule. Es war schön zu sehen, wie erwachsen und selbstständig er in dem halben Jahr geworden war. Pünktlich an Heiligabend sind wir uns in Wellington in die Arme gefallen. Die Freude war auf beiden Seiten riesig. Anfangs war Maxi sehr überdreht und wusste gar nicht, was er zuerst zeigen, reden und tun sollte. Aber nach etwa drei Stunden war es schon, als wären wir nie getrennt gewesen.
Nach dem Weihnachtsfest haben wir mit Maxi noch gemeinsam die Nord- und Südinsel erkundet, bevor es für uns wieder in die Heimat ging. Das zweite Halbjahr verging wie im Flug, sowohl für Maxi als auch für uns. Woran das lag? Ich denke, es lag daran, dass jeder seinen neuen Platz gefunden hat. Wir haben uns zu Hause neu strukturiert, haben gelernt, loszulassen, und genießen die Zeit zu zweit. Manchmal beschlich uns sogar das Gefühl, dass wir es uns anders gar nicht mehr vorstellen können. Jetzt hatten auch wir verstanden, warum uns jeder zu einem ganzen Jahr geraten hat. Es braucht seine Zeit, bis man engere Kontakte zu Neuseeländern gefunden hat. Nach einem halben Jahr etwa war Maxi in einer Gruppe so integriert, dass man auch mehr zusammen gemacht hat. Maxi war komplett angekommen, hatte viele neue und gute Freunde und ein wirkliches zweites Zuhause gefunden.
Ines Kern, 46, arbeitet als Kinderkrankenschwester und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Darmstadt. Ihr Sohn Maxi möchte nach dem Abitur gerne wieder ins Ausland, entweder nach Japan oder nochmal nach Neuseeland.
Lust auf mehr Erfahrungsberichte?
Dann klick auf den Schüleraustausch-Koala!