Sechsmonatiges Praktikum in den USA
Bereits während meiner Schulzeit habe ich mehrere kürzere Auslandsabenteuer gewagt. Bisher verbrachte ich vier Wochen in den USA und zwei Wochen auf Malta zu einem Sprachkurs, zwei Wochen zum Schüleraustausch in Ungarn und vier Wochen für ein Praktikum in Frankreich. Nach dem Abitur dachte ich, mein Fernweh wäre erstmal gestillt, aber dann packte es mich doch wieder. Als mein Chef mich auf der Arbeit fragte, ob ich denn eigentlich während meines Studiums bereits im Ausland gewesen sei und ob ich nicht Interesse hätte, ein Praktikum im Ausland zu absolvieren, konnte ich es mal wieder nicht lassen.
Ich bereitete sofort meine Bewerbungsunterlagen vor und keine zwei Monate später stand fest, dass ich für ein halbes Jahr nach Charleston, South Carolina, gehen würde, um dort ein Logistikpraktikum in der Fahrzeugproduktion zu machen. Als die Zusage kam, konnte ich kaum glauben, dass es wirklich geklappt hatte. Aber dann ging es auch schon los. Als ersten Schritt musste ich ein Visum beantragen. Bisher kannte ich nur das ESTA-Verfahren zur Einreise in die USA und musste feststellen, dass es doch etwas mehr Aufwand ist, ein Visum für ein Praktikum zu beantragen. Man benötigt eine Organisation, die einen bei der Beantragung unterstützt. Bei mir war es die deutsch-amerikanische Handelskammer, mit der ich Kontakt aufnahm. Mein Arbeitgeber hatte mich bereits dort angemeldet und ich konnte loslegen und eine ganze Menge Anträge, Nachweise und Unterlagen einreichen. Es klappte alles gut und so hatte ich noch am Tag vor den Weihnachtsferien ein Telefoninterview auf Englisch. Ich war schrecklich aufgeregt, aber die Mitarbeiterin war sehr nett und die Fragen überhaupt nicht schwer. Diese Hürde hatte ich also auch erfolgreich gemeistert. Danach hieß es erst einmal warten.
Nach ungefähr sechs Wochen war mein Antrag so weit genehmigt, dass ich einen Termin bei der Botschaft vereinbaren konnte. Die erste kleine Reise ging also zum amerikanischen Konsulat in Frankfurt, wo der Visumsantrag abschließend genehmigt wurde. Nach vielen Sicherheitskontrollen stellte sich das Ganze auch als weniger aufregend dar, als ich anfangs gedacht hatte. Eine Woche später hatte ich meinen Reisepass zurück und war stolze Besitzerin eines Visums. Es konnte losgehen. Die verbleibenden drei Wochen bis zum Abflug verbrachte ich damit, mich bei allen Freunden und der Familie zu verabschieden und mit der Küchenwaage die Hosen und Jacken auszusuchen, die am Schluss mitdurften. Bei einem Koffer mit 23kg für ein halbes Jahr war das schon die erste logistische Herausforderung. Schneller als gedacht kam der Tag meiner Abreise und meine Eltern fuhren mich nach Frankfurt zum Flughafen. Von dort ging mein großes Abenteuer alleine weiter. Mit meinen Flügen funktionierte alles super und auch die Einreise mit dem Visum war wirklich einfach. Nach einem langen Tag landete ich am frühen Abend in Charleston. Für die ersten Nächte hatte ich eine Unterkunft gebucht, die direkt am Strand lag. Meine Gastgeberin schlug mir vor, ein Uber vom Flughafen zur Unterkunft zu nehmen. Das ist ein privater Taxifahrer, den man über eine App bestellen und bezahlen kann. Da das aber leider technisch nicht klappte, rief ich sie an und sie organisierte eine Fahrt für mich. Ich wartete also auf das Auto, das sie mir genannt hatte, und war schon sehr erstaunt, dass es tatsächlich gut funktionierte und ich zehn Minuten später abgeholt wurde. Als ich bei meinen Gastgebern ankam, zeigten sie mir sofort mein Zimmer mit einem kleinen Bad. Ich war völlig erschöpft, fiel einfach nur noch in mein Bett und war froh, endlich angekommen zu sein.
Am nächsten Morgen wachte ich auf und musste mich erst einmal etwas orientieren. Erst da fing ich so richtig an zu realisieren, dass ich jetzt für ein halbes Jahr in diesem Land leben würde. Bis zum Beginn meines Praktikums hatte ich noch eineinhalb Wochen Zeit, um mich einzuleben. Mit einem alten Fahrrad, welches mir meine Gastgeber ausliehen, erkundete ich die Halbinsel und machte lange Strandspaziergänge. Außerdem musste ich noch einige Dinge erledigen, wie zum Beispiel ein Bankkonto eröffnen, eine Social Security Card beantragen und eine Autoversicherung abschließen. Ich hatte nämlich von einer anderen Praktikantin ein Auto gekauft, um mobil zu sein. Ohne Auto ist man in den USA aufgeschmissen, da die öffentlichen Verkehrsmittel nicht so gut ausgebaut sind wie bei uns. Laufen ist fast unmöglich, weil es wenig Bürgersteige gibt und die Wege zu lang sind. Die ersten Wochen waren für mich nicht ganz einfach. Ich vermisste meine Familie und meine Freunde. Alles war neu und ich hatte mir den Start am Strand etwas rosiger ausgemalt. Die Realität war zeitweise etwas einsam. Aber mit dem Beginn des Praktikums änderte sich die Situation. Zunächst gab es zum Einstieg eine zweitägige Einführungsveranstaltung, bei der man das Unternehmen und die neuen Kollegen kennenlernen konnte.
„Ohne Auto ist man in den USA aufgeschmissen.“
Zudem gab es auch ein interkulturelles Training, bei dem wir die Möglichkeit hatten, uns intensiv mit den Unterschieden zwischen den Kulturen und den daraus resultierenden Chancen, aber auch Problemen auseinanderzusetzen. Da mein Praktikumsunternehmen ursprünglich aus Deutschland kommt, aber auch internationale Werke hat, arbeiten viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen am Standort in Charleston. Es war eine sehr spannende Erfahrung, die Zusammenarbeit und die Möglichkeit, voneinander zu lernen, mitzuerleben. Am nächsten Tag begann meine Arbeit in meiner Abteilung. Zuerst wurde mir alles gezeigt und ich wurde allen vorgestellt. Außerdem machten wir eine Werksführung. Am Nachmittag fand sofort mein erstes Teammeeting statt und ich sollte das Protokoll schreiben, was im Nachhinein nicht so einfach war wie gedacht. Meine Kollegen sprachen über mir noch völlig unbekannte Themen und dann auch noch in flottem Englisch. Das zu verstehen und herauszufinden, welche Informationen jetzt in das Protokoll mussten oder nicht, war gar nicht so einfach. Zum Glück waren alle sehr hilfsbereit und unterstützten mich.
Das war aber noch nicht alles für diesen Tag. Aufgrund einer Sturmwarnung mussten alle Mitarbeiter eher nach Hause fahren. Damit hatte ich nicht gerechnet und mir war auf dem Heimweg doch etwas mulmig zumute, da ich nicht wusste, was mich erwarten würde. Meine Gastgeber erklärten mir aber, dass es völlig normal sei, dass das Wetter manchmal verrückt spielt. Im letzten Jahr gab es sogar einen Hurrikan, bei dem alle evakuiert werden mussten. Ich hoffte sehr, dass mir das erspart bleiben würde. Die ganze Nacht gewitterte es heftig, aber am Morgen war alles vorbei und die Sonne schien wieder. Im Nachhinein muss ich ein bisschen schmunzeln, denn es gab fast jeden Tag schwere Gewitter. Das ist im Sommer scheinbar ganz normal in Charleston. Der Rest meiner ersten Arbeitswoche verlief ohne weitere Zwischenfälle und am Freitag konnte ich endlich mein Apartment beziehen. Da ich keine eigenen Möbel hatte, musste ich mir diese ausleihen. Dafür gibt es eine Firma und die Möbel wurden direkt am Freitagnachmittag angeliefert. Außerdem kam noch der Techniker und installierte das Internet. Es war ein schönes Gefühl, als alles fertig war und ich in meine eigene Wohnung einziehen konnte. Zuerst packte ich meinen Koffer aus und machte dann eine große Einkaufstour. Und jedes Mal faszinierte mich die Größe amerikanischer Supermärkte aufs Neue, da man dort nahezu alles kaufen kann.
„Auf der Arbeit fiel es mir gar nicht mehr auf, dass alle Englisch sprachen.“
Am Wochenende erkundete ich meine neue Nachbarschaft und fuhr zu einem typischen Farmers‘ Market, wo man im Sommer frisches Obst und Gemüse kaufen kann. In den nächsten Wochen lebte ich mich mehr und mehr ein. Auf der Arbeit fiel es mir gar nicht mehr auf, dass alle Englisch sprachen. Außerdem lernte ich jeden Tag dazu und fand mich mehr und mehr in meine Aufgaben ein. Mein Praktikumsunternehmen befand sich gerade in einem Werksanlauf. In den nächsten Jahren soll am Standort in Charleston eine vollständige Fahrzeugproduktion entstehen. Diese Anlaufphase begleitete ich in der Logistikabteilung mit. Meine Hauptaufgabe war die logistische Anbindung der „Just-in-Sequence-Lieferanten“. Ich konnte an sehr vielen Terminen teilnehmen und es machte mir Spaß, mein Theoriewissen aus den Vorlesungen in der Praxis anzuwenden. Außerdem hatte ich auch die Möglichkeit, an Lieferantenbesuchen teilzunehmen und mir die Produktionsstandorte anzusehen. In meiner Freizeit erfreute ich mich daran, dass meine Apartmentanlage, einen Pool und einen Fitnessraum hatte. Ich versuchte auch, möglichst viel Sport draußen zu machen, was allerdings bei 30°C und 80% Luftfeuchtigkeit gar nicht so einfach war. An den Wochenenden nutzte ich die Zeit, um die Gegend zu erkunden. Charleston ist eine superschöne, historische Stadt direkt am Meer mit vielen tollen Häusern. Es war großartig, einfach durch die Gassen zu bummeln oder an der Strandpromenade spazieren zu gehen. Wenn man Glück hatte, konnte man von dort aus sogar Delphine sehen. Aufgrund der spannenden Geschichte der Stadt gab es wirklich viel zu entdecken und es wurde nicht langweilig. Beispielsweise besichtigte ich eine alte Sklavenplantage und fand es sehr interessant und zugleich erschreckend zu sehen, unter welchen Umständen die Menschen dort gelebt hatten.
„Mein Praktikum war rückblickend eine tolle Erfahrung.“
Im Laufe der Zeit erlebte ich einige kleine Überraschungen, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Diese stellten mich immer wieder vor Herausforderungen. Beispielsweise ging an einem Tag die Schaltung meines Autos kaputt und ich musste mit 20 mph in die Werkstatt schleichen. Hinter mir gab es ein großes Hupkonzert und ich war nass geschwitzt, als ich ankam. Die Mitarbeiter waren aber sehr nett und am nächsten Tag konnte ich meine „alte Lady“, wie ich mein Auto getauft hatte, wieder abholen. Die Menschen in Charleston empfand ich allgemein als sehr freundlich und zuvorkommend. An einem anderen Tag schüttete ich blöderweise ein großes Glas Wasser über meinen Laptop, aber auch dieses Problem löste sich einfacher als gedacht. Insgesamt habe ich während meines Auslandsaufenthaltes so viele unerwartete Situationen erlebt, mit denen ich lernen musste umzugehen, dass es mich am Ende gar nicht mehr so gestört hat, wenn etwas schiefgelaufen ist. Ich bin einfach ein Stück gelassener geworden. Mein Praktikum war rückblickend eine tolle Erfahrung. Ich hatte Spaß an meinem Aufgabenbereich und wäre am liebsten dort geblieben. Der einzige kleine Haken war, dass ich doch meine Familie und meine Freunde sehr vermisste. Während der Zeit im Ausland stellte ich fest, dass ich mir nicht vorstellen kann, ohne sie zu leben. Das Ende meines Praktikums kam dann auch schneller als gedacht und ich musste meine Verantwortung auf der Arbeit abgeben und mich auf meine Abreise vorbereiten. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiedete ich mich von meinen Kollegen und neu gewonnenen Freunden. Bevor es ganz nach Deutschland zurückging, machte ich noch eine vierwöchige Rundreise durch den Westen der USA und genoss die Nationalparks und Sehenswürdigkeiten. Ich kann jedem raten, den Schritt aus der Tür zu wagen und ein Praktikum im Ausland zu absolvieren. Gerade die Möglichkeit, das Arbeitsleben in einem fremden Land zu erleben, verschafft einem Erfahrungen, die man nicht mehr vergisst. Es war der Sommer meines Lebens und die Erlebnisse werden mir immer im Gedächtnis bleiben.
Carolin Hake, 28, schreibt momentan ihre Masterarbeit bei der Daimler AG im Sprinterwerk in Düsseldorf. Sie kann sich gut vorstellen, in dem Bereich zu arbeiten, in dem sie ihr Praktikum absolviert hat.
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