Als „Sixth Former“ im englischen Sudbury

Kein Abschied für immer

weltweiser · Schüleraustausch England

  • GESCHRIEBEN VON: HANA SCHOLTA
  • LAND: ENGLAND
  • AUFENTHALTSDAUER: 4 MONATE
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 4 / 2014, S. 13-15

Der Abend vor dem Abflug war gekommen. Und mit ihm ein Wirrwarr der Gefühle: Aufregung, Nervosität, Vorfreude, Zweifel, Abenteuerlust und noch mehr Vorfreude. Ich begriff kaum, wie mir geschah. Nachdem ich endlich alles gepackt und zum hundertsten Mal kontrolliert hatte, überwog dann doch die Müdigkeit. Am nächsten Tag kam der Abschied. Sollte ich das Ganze doch lieber abbrechen?

Als sich die Türen des Flugzeugs schlossen, war mir jedoch klar: „Das ist es, was du willst und wovon du so lange geträumt hast. Ein völlig neues Kapitel. Mach das Beste daraus!“ Kurz darauf landete das Flugzeug auch schon in London Heathrow und brachte mich und drei weitere Austauschschüler zu den anderen Programmteilnehmern der Organisation. Das Einführungsseminar fand bei schönstem Wetter statt. Es war der beste Start, den ich mir hätte wünschen können. Hier lernte ich auch die Office Managerin der englischen Partnerorganisation meiner Austauschagentur kennen, die mir die nächsten vier Monate mit Rat und Tat zur Seite stehen sollte. Nach Besichtigungstouren quer durch London, dem Besuch der „Thriller – Live“ Show und einem ersten Einblick in die englische Küche ging es auch schon weiter zu den Gastfamilien. Zusammen mit Lena, einer anderen Austauschschülerin, stieg ich in den Bus: Unser Ziel hieß Colchester, eine Stadt mittlerer Größe nordöstlich von London. Wir waren beide sehr aufgeregt, ich besonders, da ich meine Gastfamilie erst einen Tag vor meinem Abflug zugeteilt bekommen hatte. Die Fahrt dorthin verging wie im Fluge. In Colchester wurde ich von meiner Gastmutter Sue und meinem 20-jährigen Gastbruder Gregor herzlich empfangen. Mit dem Auto bewältigten wir den letzten Teil der Reise bis nach Sudbury und erreichten schließlich, pünktlich zum Mittagessen, mein neues Zuhause für die nächsten vier Monate.

Bei dem Haus handelte es sich nicht um ein typisch englisches Reihenhaus, es ähnelte eher einem alten Cottage mit einem wunderschönen Garten, der von Sue, einer leidenschaftlichen Hobbygärtnerin, in Stand gehalten wurde. Ich verliebte mich sofort in mein kleines, aber sehr gemütliches Zimmer ganz oben unter dem Dach, und auch der Rest meiner Gastfamilie war mir auf Anhieb sympathisch. Dazu gehörten mein schottischer Gastvater Ian, mein zweiter Gastbruder Callum und meine Gastschwester Shona, die beide um die 25 Jahre alt waren. „Last but not least“ gab es zwei umwerfend süße Familienhunde, die Jack Russel Terrier Haggis und Daisy, die mir mein anfängliches Heimweh stets mit Schwanzwedeln und Hundeblicken nehmen konnten. Meine Schule lag in Great Cornard, einem kleineren Ort außerhalb von Sudbury. Dort trafen Sue und ich uns am nächsten Tag mit Lena und ihrer Gastmutter Anne. Lena und ich sollten beide das Year 12 der Sixth Form besuchen, vergleichbar mit der 11. Klasse der Oberstufe in Deutschland. Die Fächerwahl war bei dem breiten Angebot nicht einfach. Ich entschied mich schließlich für Drama, Media Studies, Food Technology, French und Textiles. Drei der fünf Fächer wurden an einer etwa 15 Minuten entfernt gelegenen Schule im Zentrum Sudburys unterrichtet. Ein Minibus pendelte nach Stundenende hin und her und brachte uns Schüler von einer Schule zur anderen. Eine Unterrichtsstunde dauerte 110 Minuten. Danach folgte stets eine Pause. Der Schultag begann um 9 Uhr mit einer 20-minütigen „registration“ in der jeweiligen Tutor-Gruppe, in der immer viel geredet und gelacht wurde. Im Allgemeinen konnte man sich bei Fragen und Problemen jederzeit an seinen persönlichen Tutor wenden.

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Der Stundenplan fand im Zwei-Wochen-Takt statt. Pro Tag wurden maximal drei verschiedene Fächer unterrichtet und zu meinem Glück hatte ich jeden zweiten Montag frei. Die Fächer waren alle sehr anstrengend, da die englischen Schüler sich auf ihr AS-level (Advanced Subsidiary level) vorbereiteten. Dies ist vergleichbar mit dem deutschen Abitur, nur dass der erste Teil der Prüfungen sozusagen nach der 11. Klasse erfolgt. Da der Stoff aber so interessant und neu für mich war, fiel mir die geforderte Arbeit nicht schwer. Ich liebte alle meine Fächer, besonders Textiles und Drama. French wählte ich allerdings bereits nach der ersten Stunde wieder ab, da es mir zu kompliziert war, Französischunterricht auf Englisch zu erhalten. Meine Schule bestand aus lauter kleinen, separaten Gebäuden. Das war zu Beginn sehr verwirrend, aber ich gewöhnte mich dank der Hilfe meiner Mitschüler schnell daran. Die englischen Schüler meiner Jahrgangsstufe wussten nicht sehr viel über Deutschland, und eigentlich auch wenig über das, was weiter als 40km außerhalb von Sudbury passierte. Aber sie interessierten sich sehr dafür, wie das Leben bei uns Deutschen so aussieht. Beispielsweise war ihnen das deutsche System, Filme zu synchronisieren, und auch unsere Tradition, am Abend des 24. Dezembers Weihnachten zu feiern, vollkommen unbekannt.

„Die Unterhaltung war immer lustig und ich konnte den Gesprächen gut folgen“

Da ich dank meiner deutschen Freundin Lena nicht die einzige Neue war, gewöhnte ich mich relativ schnell an den Schulalltag. Es dauerte auch nicht lange, bis ich die ersten „englischen“ Freundschaften schloss und eine Einladung zum 17. Geburtstag einer Mitschülerin bekam. Die Schulpartys, „for Sixth Formers only“, fanden in einem Club in Sudbury statt und waren ein großes Highlight. Meistens trafen wir uns vorher zu sogenannten „pre-parties“, die von einem Freund zu Hause organisiert wurden. Sie boten die beste Gelegenheit, neue Leute kennenzulernen. Hier zeigte sich, dass die Engländer richtig gut und gerne und vor allem lange feiern können. Nach einiger Zeit lernte ich auch meine zweite Gastschwester, Catriona, ihren Freund und ihr Baby kennen, von denen wir oft Besuch bekamen. Gleich zu Beginn meines Aufenthaltes hatte meine Gastmutter Geburtstag und zur Feier des Tages gingen wir in das Gasthaus „Henny Swan“. Von dem Zeitpunkt an war der Restaurantbesuch mit meiner Gastfamilie jedes Mal ein besonderes Erlebnis, das Essen war sehr lecker, von der Vorspeise über das Hauptgericht bis hin zum Dessert. Die Unterhaltung war immer lustig und ich konnte den Gesprächen gut folgen. Für mich steht fest, dass ich keine bessere Gastfamilie hätte haben können und das lange Warten und die Ungewissheit vor der Abreise haben sich mehr als gelohnt!

„Das Beste war, dass wir in ihrem Penthouse mit einem tollen Ausblick über die wunderschöne Stadt und die Burg Edinburgh Castle wohnen durften“

Mit Sue besuchte ich mehrere Theateraufführungen, die ich zu meiner Überraschung auf Anhieb liebte, obwohl ich in Deutschland bisher nicht der größte Theater-Fan gewesen war. Ebenso gern ging ich in England ins Kino: Vom James-Bond-Film „Skyfall“ über den „Twilight“-Marathon anlässlich der Erstausstrahlung des zweiten Teils von „Breaking Dawn“ bis hin zum Klassiker „Great Expectations“ nach Charles Dickens war mir alles recht. London war mit dem Zug nur eine knappe Stunde entfernt, daher fuhr ich oft auf eigene Faust dorthin, um mich mit meinen deutschen Freunden vom Einführungsseminar zu treffen. Egal, ob Shopping in der Oxford Street und in Camden Town, Sightseeing, „Bonfire Night“ in Lewisham, „German Christmas Market“ im Hyde Park oder ein Besuch des Musicals „We Will Rock You“ – langweilig wurde es nie! In den „half term holidays“, den Schulferien in der Mitte des Terms, besuchten Sue, Ian und ich für ein verlängertes Wochenende Sues Vater und seine Frau, die mich beide herzlich willkommen hießen. Sie lebten in New Forest, einem Nationalpark mit Wildpferden im Süden Englands. Danach flogen wir nach Edinburgh, um dort Shona, sozusagen meine Gasttante, und ihren Mann zu besuchen. Das Beste war, dass wir in ihrem Penthouse mit einem tollen Ausblick über die wunderschöne Stadt und die Burg Edinburgh Castle wohnen durften. Es gibt noch viel mehr Erlebnisse, von denen ich erzählen könnte, von Highlights wie dem „Fancy Dress Day“, dem Besuch der „Harry Potter Studios“, von diversen Geburtstagen und Unternehmungen mit Freunden wie Bowling und Laserquest.

„Am letzten Schultag flossen viele Tränen“

Der Abschied war traurig – aber zum Glück nicht für immer! Am letzten Schultag flossen viele Tränen, ich bekam eine süße Abschiedskarte von meinen engeren Freunden, die alle einen kleinen Text geschrieben hatten. Außerdem spendierte meine Gastfamilie ein Abschiedsessen und bei der „Student Party“ am Abend wurde noch einmal so richtig gefeiert. Am nächsten Morgen machte ich mich also mit tollen Erinnerungen an mein englisches Zuhause, neuen Freunden und vielen einzigartigen Erfahrungen im Gepäck auf den Weg zum Flughafen. Für uns alle stand fest: Es würde auf keinen Fall ein Abschied für immer sein. Tatsächlich war ich seitdem bereits ein weiteres Mal zu Besuch, um meine Gastfamilie und Freunde wiederzusehen. Ich war sogar für ein paar Tage wieder in der Schule. Und wenn es nach mir geht, werden viele weitere Reisen nach England folgen. Zum Schluss bleibt mir nur noch zu sagen: „Thank you, England! Thank you so much!“

Hanna Scholta, 16, besucht zurzeit die 11. Klasse des Gymnasiums. Sie hat ein Faible für britische Filme in der Originalfassung, da sie den Akzent so lieb gewonnen hat. Nach dem Abitur möchte sie als Au-Pair oder für einen Work & Travel-Aufenthalt nach Neuseeland reisen.

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Koala Bär
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