Unvergesslicher Schüleraustausch in Kanada
Ich hatte mich bereits lange vorher auf meinen fünfmonatigen Aufenthalt in Kanada gefreut. Als es endlich losgehen sollte, war ich zwar traurig, meine Familie und Freunde so lange nicht zu sehen. Dennoch konnte meine Vorfreude weder dadurch getrübt werden, dass ich eine Woche vor der Abreise krank wurde, noch durch die Anstrengung, das Koffergewicht unter 23kg zu halten.
Schließlich war es so weit: Nachdem ich mich von allen verabschiedet hatte, saß ich im Flugzeug von Frankfurt nach Toronto. Das war der Moment, in dem ich zum ersten Mal so richtig begriff, was ich mir da eigentlich vorgenommen hatte – fünf lange Monate alleine in einem anderen Land, in dem ich keinen kannte, in einer fremden Familie zu leben. „Warum mache ich das bloß?“ Zunächst sollte ich jedoch mit 40 anderen Schülern meiner Organisation drei Tage zur Vorbereitung in Toronto verbringen. Das war ein super Einstieg in mein kleines Abenteuer! In den darauffolgenden Tagen hatten wir ein umfangreiches Programm. Wir genossen die grandiose Aussicht vom 553m hohen CN Tower über ganz Toronto, gingen in der Eaton Mall shoppen und aßen im Hard Rock Café an der Yonge Street, einer 99km langen Straße. Das Highlight waren jedoch die Niagarafälle, die mich ziemlich beeindruckten. Mit einem Boot kam man so nahe an die Wasserfälle heran, dass man ganz nass wurde. Am dritten Tag gab es eine Einführung in die kanadische Kultur, das Schulsystem usw. Danach ging es für mich nach Moncton, in die zweitgrößte Stadt der Provinz New Brunswick im Osten Kanadas.
Aufgeregt saß ich einige Stunden später mit meinen Gasteltern Heather und Dave und meiner Gastschwester Alicia im Auto auf dem Weg zu meinem neuen Zuhause, einem großen Haus mit Garten etwas außerhalb der Stadt. Ich lebte dort mit meinen Gasteltern und einer brasilianischen Gastschwester, die eine Woche später ankam. Die vier Kinder meiner Gasteltern wohnten schon nicht mehr zu Hause. Alicia, die jüngste von ihnen, hatte gerade angefangen zu studieren und die drei anderen lebten mit ihren eigenen Familien. Mein Zimmer gefiel mir auf Anhieb. Alles war vorhanden, ein Bett, ein begehbarer Kleiderschrank, eine Kommode, Regal und Spiegel. Später stellte sich heraus, dass ich mich sowieso nur zum Schlafen dort aufhielt, da es in meiner Gastfamilie üblich war, die freie Zeit gemeinsam im Wohnzimmer mit Fernsehen zu verbringen. Das war sehr ungewohnt für mich, da ich in Deutschland gar nicht fernsehe, aber ich war ja schließlich dort, um neue Erfahrungen zu sammeln. Heather und Dave kümmerten sich während meines gesamten Aufenthaltes sehr gut um mich und ich kam super mit ihnen zurecht. Auch mit dem Rest der großen Familie verstand ich mich gut. Dazu zählten die Geschwister, die Eltern, Kinder und Enkelkinder der beiden. Besonders ans Herz gewachsen sind mir meine beiden kleinen Gastnichten Alyssa und Maryah, die drei und sechs Jahre alt sind und mit denen ich oft gemalt oder gespielt habe.
Nach einer Woche der „Eingewöhnungsphase“ fing die Schule an. Von Montag bis Freitag musste ich um 7:15 Uhr zur Bushaltestelle laufen, um mit einem der gelben Schulbusse, die man aus amerikanischen High School Filmen kennt, zur Bernice MacNaughton High School zu gelangen. Die Schule wird von etwa 900 Schülern besucht und besitzt sogar ein eigenes Theater, eine Holz- und eine Autowerkstatt sowie eine Küche und liegt an einem Park mit See. Die Fächerauswahl war viel größer als in Deutschland, was mir gut gefiel. Pro Semester hat man nur fünf Schulfächer, in denen man jeden Tag jeweils eine Stunde lang unterrichtet wird. Ich wählte Englisch, Mathematik, Outdoor Pursuits, Französisch und Culinary Technology. Der Englischunterricht war anspruchsvoll, zum Ausgleich war der Mathematikkurs dafür sehr leicht. Im Fach Outdoor Pursuits waren wir zu 90% der Zeit draußen. Zu den Aktivitäten zählten Kanufahren, Klettern an Felsund Eiswänden, Spaziergänge und im Winter auch Skilanglauf. Dabei erfuhren wir einiges über die kanadische Natur und wie man sich dort verhalten sollte.
„Ich spielte einmal in der Woche Geige im Orchester und sang zweimal wöchentlich im Chor und lernte dort neue Leute kennen“
In meinem Französischkurs lernte ich viel, da alle nur Französisch sprachen. Das war auch ein Ziel meines Auslandsaufenthaltes gewesen, und ich hatte nicht ohne Grund die einzige bilinguale Provinz Kanadas ausgewählt. Neben Outdoor Pursuits war auch Culinary Technology mein Lieblingsfach, denn dort drehte sich alles ums Backen und Kochen. Im Laufe der Zeit bereiteten wir unter anderem Zimtrollen, Crêpes, Kekse, Pizza und Brezeln zu. Die Schülervertretung der High School veranstaltete im Laufe des Semesters viele verschiedene Aktionen, wie zum Beispiel drei Schultänze, die jeweils unter einem anderen Motto standen, unterhaltsame Pausenaktivitäten und Schulversammlungen. So erlebte ich auch den besonderen „school spirit“, wenn die gesamte Schülerschaft zu Basketball- oder Football-Spielen der Schulmannschaften kam, um sie anzufeuern und zu unterstützen. Nach dem regulären Unterricht nahmen viele an einer oder mehreren der vielen AGs teil. Ich spielte einmal in der Woche Geige im Orchester und sang zweimal wöchentlich im Chor und lernte dort neue Leute kennen. Freunde zu finden dauerte allerdings ein wenig, da ich von Natur aus eher schüchtern bin. Doch zum Schluss hatte ich Freundschaften mit Austauschschülern aus Japan, Korea und Deutschland geschlossen und einige gute kanadische Freunde gefunden. Zusammen unternahmen wir viel, backten, kochten, schauten uns Filme im Kino an, gingen Shoppen oder zum Schlittschuhlaufen.
„Ich liebte es, Dave beim Kochen und Heather beim Backen zu helfen“
Ich hatte auch sonst immer etwas zu tun, da an jedem Wochenende in meiner Gastfamilie etwas unternommen wurde. Ich liebte es, Dave beim Kochen und Heather beim Backen zu helfen, und ging gerne mit ihnen einkaufen. Beinahe jeden Samstagmorgen waren wir auf dem Wochenmarkt Monctons oder in der Nachbarstadt anzutreffen. Im Winter wurde es für uns außerdem zum Ritual, so oft wie möglich zu Eishockeyspielen der „Wildcats“, der Mannschaft der Stadt, zu gehen und diese anzufeuern. Wir unternahmen auch viele Ausflüge in andere Städte und zu Sehenswürdigkeiten, sodass ich dank Heather und Dave viel von der Region zu sehen bekam. Beispielsweise fuhren wir zu der Bucht Bay of Fundy mit dem höchsten Gezeitenunterschied der Welt und in die weiter östlich gelegene Provinz Nova Scotia und deren Hauptstadt Halifax. Zudem waren wir dreimal in Daves Heimatstadt Campbellton ganz im Norden von New Brunswick an der Grenze zur Provinz Québec. Mit meinem lokalen Koordinator und anderen Austauschschülern besuchte ich für drei Tage die Stadt Québec. Wir besichtigten unter anderem den alten Teil Québecs, der wunderschön ist, und machten Ausflüge zu verschiedenen anderen Sehenswürdigkeiten.
Während meines Aufenthaltes erlebte ich außerdem einige kanadische Feste und lernte dadurch mehr über die Kultur. Thanksgiving wird im Oktober als Familienfest gefeiert, bei dem alle zusammenkommen, um zu essen und zu reden. Jedes Jahr am 11. November findet der „Remembrance Day“ statt, an dem der Soldaten der beiden Weltkriege gedacht wird. Dazu finden Zeremonien statt und jeder trägt eine Stoffblume in der Nähe seines Herzens. Ende November gibt es eine „Christmas Parade“. Diese erinnert an einen deutschen Karnevalsumzug, da viele Vereine und Schulen bunt geschmückte Wagen vorbereiten, die dann hintereinander durch die Menschenmenge die Straße entlangfahren. Anfang Dezember holte Heather den künstlichen Weihnachtsbaum aus dem Schrank und wir schmückten das ganze Haus weihnachtlich, das heißt bunt und ausgiebig und für mich gewöhnungsbedürftig. Heiligabend wird in Kanada, wie auch in vielen anderen Ländern, erst am 25. Dezember gefeiert. Der 24. Dezember hat keine besondere Bedeutung, aber ich hatte die Möglichkeit, abends einen Gottesdienst zu besuchen. Am Weihnachtsmorgen wurden die Geschenke verteilt und ausgepackt: Die kleineren lagen in einem Beutel, die größeren unter dem Weihnachtsbaum. Ich hatte nicht damit gerechnet, so viele Geschenke zu bekommen, aber ich wurde tatsächlich ebenso großzügig wie die Kinder meiner Gasteltern beschenkt. Feuerwerk an Silvester ist in Kanada nicht üblich, was ich persönlich sehr schade finde. Meine Gastfamilie und ich feierten auf einer Bowlingbahn ins neue Jahr, was ruhig, aber auch ganz nett war.
„Kurz gesagt: Ich hatte fünf wunderschöne, unvergessliche, tolle Monate!“
Besonders am Ende verging die Zeit viel zu schnell und plötzlich war auch schon der Abschied da. Natürlich freute ich mich auf meine Familie und Freunde in Deutschland, aber dennoch fiel es mir schwer, Kanada wieder zu verlassen, da ich mich bei meinen Gasteltern so wohlgefühlt hatte, so tolle Freunde gefunden, so viele Erfahrungen gesammelt, so viel gesehen und so viel Spaß gehabt hatte. Kurz gesagt: Ich hatte fünf wunderschöne, unvergessliche, tolle Monate! Mit tränenerfüllten Augen umarmte ich ein letztes Mal Heather und Dave und stieg ins Flugzeug. Allmählich verwandelte sich meine Traurigkeit jedoch in Vorfreude. Als ich meine deutsche Familie schließlich nach langer Zeit wieder im Arm hatte, kamen mir schon wieder die Tränen, aber diesmal vor Freude. In Deutschland war für mich alles zunächst sehr ungewohnt. Ich hatte sogar Schwierigkeiten, Deutsch zu sprechen, da ich fünf Monate lang nur auf Englisch geredet und gedacht hatte. Eine Woche nach meiner Ankunft wurde ich unglücklicherweise sofort wieder krank. Somit begann und endete mein Abenteuer mit Krankheit. Insgesamt brauchte ich mehrere Monate, um mich in Deutschland wieder einzugewöhnen. Am Anfang verglich ich zum Beispiel automatisch alles mit meinem Leben in Kanada, womit ich den Leuten in meiner Umgebung sicherlich irgendwann auf die Nerven ging. Ich denke sehr gerne an meinen Auslandsaufenthalt zurück, gucke mir Fotos an und halte Kontakt zu meinen neu gewonnenen Freunden und zu Heather und Dave. Würde mich jemand fragen, ob ich das Ganze wieder machen würde, so würde ich definitiv mit „ja“ antworten!
Stefanie Kramer 17, wird voraussichtlich 2015 das Abitur machen. Ihre genauen Pläne danach stehen noch nicht fest, in jedem Fall möchte sie gerne studieren und einen Beruf ausüben, bei dem sie ihre Englisch- und Französischkenntnisse einbringen kann.
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