Vom Schulalltag und Vegemite

High School in Sydney

weltweiser · Schulalltag · Australien · Sydney
  • GESCHRIEBEN VON: SVENA HANSEN
  • LAND: AUSTRALIEN
  • AUFENTHALTSDAUER: 3 MONATE
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    NR. 9 / 2019, S. 20-21

Es war kurz vor Weihnachten, als ich die Idee hatte, an einem Austauschprogramm teilzunehmen. Für mich war sofort klar, wohin es gehen sollte, nach Sydney im Bundesstaat New South Wales im Südosten Australiens.

Schnell fing ich an, die Tage zu zählen, und bei dem bloßen Gedanken an den bekannten australischen Brotaufstrich Vegemite – welcher sich im Endeffekt dann doch nicht als allzu schmackhaft herausstellte – lief mir schon in Berlin das Wasser im Mund zusammen. Ich freute mich auf die einzigartigen weißen Strände mit türkisblauem Wasser und darauf, neue Menschen kennenzulernen und eine hoffentlich geniale und unvergessliche Zeit fernab der Heimat zu verbringen. Eine Woche vor meiner Abreise fing ich jedoch endlich an, zu verstehen, dass ich für die nächsten vierzehn Wochen mehr oder weniger auf mich allein gestellt sein würde. Obgleich ich mich riesig freute, hatte ich auch ein wenig Angst vor der Einreise. Ich hatte tausend Gedanken im Kopf, machte mir Sorgen, was passiert, wenn etwas mit meinem Visum nicht stimmen würde; fragte mich, ob es mit dem Zoll Probleme geben würde und ob meine Gastfamilie mich rechtzeitig vom Flughafen abholen würde. Zwar lief letzten Endes alles reibungslos und es kam zu keinem meiner herbeigesponnenen Szenarien, aber nachdem ich mich von meinen Eltern, meiner Schwester und ein paar meiner engsten Freunde am Flughafen verabschiedet hatte und durch die Sicherheitskontrolle verschwunden war, erfasste mich auf einmal ein sehr großes Gefühl von Einsamkeit. Auf jedem der drei Flüge musste ich mit den Tränen kämpfen. Da ich allein und ohne andere Austauschschüler flog, konnte ich mit keinem anderen das bedrückende Gefühl der Einsamkeit teilen.

Zum Glück verflog dieses Gefühl gleich am ersten Schultag und ich fand sehr schnell neue Freunde und passte mich der australischen Lebensart an. Genauer gesagt, ging es mir schon besser, nachdem ich mein Gepäck vom Band gehoben, meine Gastfamilie mich herzlich in Empfang genommen und ich das Flughafengebäude verlassen hatte. Ich war überglücklich, endlich die morgendliche australische Sonne zu sehen. Es waren ungefähr 28°C und die Palmen wehten im Wind. Ich war tatsächlich in dem Australien, das ich mir vorgestellt hatte und freute mich auf mein Abenteuer in Down Under. Nach meiner Ankunft hatte ich eine Woche Zeit, in der ich mich eingewöhnen sollte. Ich machte das, was jeder Tourist in Sydney macht: Ich ging an den Circular Quay, in den Taronga Zoo, an den Bondi Beach und schaute mir noch viele andere tolle Sachen an. Es war komisch, wach zu sein, während alle meine Freunde in Deutschland schliefen, aber auch daran gewöhnte ich mich rasch. Da ich zu dem Zeitpunkt noch keine neuen Freunde kennengelernt hatte, vermisste ich meine Familie und Freunde umso mehr. Dann war es endlich so weit und mein erster Schultag auf der anderen Seite der Welt begann. Ich bekam meine Uniform bestehend aus einer weißen Bluse, einem dunkelblauen Rock, schwarzen Lederschuhen, weißen Socken und einem dunkelblauen Schulpullover. Alle waren unglaublich lieb und meine High School war so, wie ich mir eine australische High School immer vorgestellt hatte – alle, die H2O geguckt haben, wissen, was ich meine. Meine Schule war um einen Innenhof oder ein „Quad“ gebaut, in dem es jeden Mittwoch eine Schulversammlung mit allen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern gab. Sofort fielen mir die „Year 12 Jerseys“ auf, also jene typischen College-Jacken, die man von den unzähligen Netflix-Serien kennt.

junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
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Wie fast jede Schule in Australien hatte auch meine High School interessante Fächer, welche es in Deutschland nicht unbedingt gibt. Dazu gehören unter anderem Töpfern, Kochen und Lebensmittel-Wissenschaften, um nur einige von einer großen Auswahl zu nennen. Mein Tagesablauf als Austauschschülerin war ungefähr so: Mein Wecker klingelte täglich um 7:26 Uhr. Ich stand auf, zog meine Uniform an, machte mir schnell mein Pausenbrot und musste um 7:55 Uhr das Haus verlassen. Zum Glück war die Bushaltestelle nur einen Katzensprung entfernt, sonst hätte ich sicherlich oft den ersten meiner beiden Busse verpasst. In Caringbah angekommen, musste ich dann ungefähr zwanzig Minuten auf den zweiten Bus warten, wobei ich diese Zeit dann mit einem super leckeren „cheese toastie“, einem Pfefferminztee und ein paar Freuden, die denselben Bus nahmen wie ich, verbrachte. Wenn mein Bus dann endlich kam, dauerte die Fahrt nur noch gut 15 Minuten. Sobald ich die Schule betreten hatte, klingelte es zumeist schon zum „roll call“, also der Anwesenheitskontrolle. Wenn ich im Nachhinein so nachdenke, fällt mir auf, dass ich eigentlich immer mit einem Grinsen und mit Vorfreude auf den Schultag ankam und auch wieder mit einem Grinsen nach Hause ging.

„Ich freute mich auf mein Abenteuer in Downunder“

Meist liefen die Schultage so ab, dass ich vor der ersten Pause eine Doppelstunde hatte, dann eine 28-minütige Pause, dann wieder eine Doppelstunde und danach eine 53-minütige „lunchbreak“. Nach dem Mittagessen hatte ich meist noch einmal zwei Stunden, außer dienstags, da endete mein Unterricht immer schon um 14:07 Uhr. Für mich war es sehr komisch und gewöhnungsbedürftig, plötzlich Unterrichtsstunden zu haben, die 53 Minuten gingen und nicht die klassischen 45 Minuten, wie ich es hier aus Deutschland kannte. Außerdem musste ich mich daran gewöhnen, dass es in Australien ab der elften Klasse leider keinen Sportunterricht mehr gibt. Während der Mittagspausen kaufte ich mir teilweise einen typischen Aussie Chickenburger, denn die Australier haben seit wenigen Jahren den Geschmack von Huhn für sich entdeckt und lieben es. Neben unzähligen anderen Hühnchen-Produkten gibt es zum Beispiel Hühnersalz, welches man sich unbedingt mindestens einmal über seine Pommes gestreut haben muss, um zumindest halb als Aussie anerkannt zu werden. Nach der Schule ging ich, anders als in Deutschland, in die Mall. Besonders gern kaufte ich mir dort frisches Sushi. Das wird im Gegensatz zu dem Sushi, das man bei uns in Deutschland finden kann, als große „hand roll“ verkauft. Man bekommt also eine große Rolle, ähnlich wie ein Wrap, und nicht diese vielen klein geschnittenen Häppchen. Ich finde die Rollen super lecker. Zu meinem Sushi kaufte ich mir in den „food courts“, den Bereichen in den Shopping Malls, in denen man sich Essen von verschiedenen Ständen oder Läden kaufen und sich hinsetzen kann, meist einen Apfel-Karotten-Saft. Dieser erinnerte mich sehr an meine Familie in Berlin und löste mich ein wenig von meinem Heimweh.

„Bei meiner Gastfamilie angekommen, schlüpfte ich sofort in meine sogenannten „trackies“

Gegen 17 Uhr – meine Schule endete in der Regel um 15 Uhr – fuhren wir alle in die Suburbs zurück, aus denen wir kamen. Die Suburbs sind die Vorstädte von Großstädten, in denen viele Familien in Eigenheimen mit Gärtchen wohnen. Manche Schülerinnen oder Schüler fuhren sogar mit ihren eigenen Autos, da man in New South Wales schon ab seinem siebzehnten Geburtstag selbstständig mit dem Auto fahren darf. Die anderen nahmen die öffentlichen Verkehrsmittel, wie auch ich es tat. In New South Wales bekommt jedes Kind, das mindestens vier Kilometer von der Schule entfernt wohnt, eine kostenlose Fahrkarte vom Bundesstaat. Das ist meiner Meinung nach eine sehr gute Idee, die sich auch in Berlin oder ganz Deutschland einzuführen lohnen würde. Denn so können auch Kinder von Eltern, die sich die tägliche Busfahrt nicht leisten können, auf die Schule ihrer Wahl gehen. Der Haken daran ist bloß, dass dies nur ein Privileg für Kinder ist, welche die australische Staatsbürgerschaft besitzen. Dementsprechend hatte ich als „International“, wie die Austauschschülerinnen und -schüler hier genannt werden, kein Recht auf solch eine Karte.

Auf dem Weg zurück nahm ich meist den Zug. Auch hier gibt es einen Unterschied zu dem Berliner System, das ich kenne. So gibt es hier in Australien keine Trennung zwischen U- und S-Bahnen, sondern alles wird „train“ genannt. Die Züge fuhren also sowohl unterhalb der Erde als auch oberhalb. Meistens entschied ich mich nach der Schule dazu, von Caringbah aus zu meiner Gastfamilie zurückzulaufen, da die öffentlichen Verkehrsmittel dort nicht so regelmäßig kommen. Leider ist die Sonne zu dem Zeitpunkt des Tages immer schon untergegangen, sodass ich wegen der australischen Wintertemperaturen in der Regel ziemlich fror. Bei meiner Gastfamilie angekommen, schlüpfte ich sofort in meine sogenannten „trackies“. So bezeichnet die australische Jugend gemütliche Trainingsanzüge, in denen es sich nach einem langen Schul- und Mall-Tag besonders gut entspannen lässt. Gleich danach schaltete ich die mobile Heizung an. Komischerweise gibt es in Australien nämlich nicht die Art von Heizungen, die wir in Deutschland haben, sondern Radiatoren, die man auf Rollen hin- und herschieben kann und die man in Steckdosen anstecken muss. Nachdem ich mich aufgewärmt und kurz durchgeatmet hatte, aß ich mit meiner Gastfamilie Abendbrot. Manchmal kamen am Abend sogar noch Freunde vorbei, um mit uns den australischen Volkssport Rugby zu schauen, der besonders in meinem Bundesstaat New South Wales eine sehr große Bedeutung hat.

„Mein Rat ist, genießt jede einzelne Stunde auf eurer Gastschule“

Doch jeder Schüleraustausch und jeder Alltag im Ausland hat irgendwann ein Ende und Mitte Juli war es so weit und ich hatte meinen letzten Schultag. Ich konnte es gar nicht richtig glauben, dass ich nicht mehr in Australien und meiner bereits so vertrauten und alltäglichen Umgebung sein würde, die langsam zu meiner Heimat wurde. Schultage im Ausland und Auslandsaufenthalte im Allgemeinen gehen viel schneller zu Ende, als man sich von Deutschland aus vorstellen kann. Mein Rat ist, genießt jede einzelne Stunde auf eurer Gastschule, genießt jedes Sandwich, genießt die neuen Freunde und die neuen Eindrücke, denn ihr werdet die Zeit danach genauso vermissen, wie ich es jetzt tue. Ich kann aus voller Überzeugung sagen, dass ich sehr glücklich bin, die Entscheidung für mich getroffen und an einem High-School-Programm teilgenommen zu haben. Ich bin über mich hinausgewachsen, reifer, selbstständiger und vor allem bin ich „ich“ geworden. Ich habe Sachen erlebt, die ich später meinen Kindern und meinen Enkeln erzählen kann. Ich kann jedem nur empfehlen, einen Austausch zu machen und den Schritt ins Unbekannte zu wagen, denn wie sonst erfährt man, wie Vegemite schmeckt, wenn nicht durch Ausprobieren?

Svea Hansen, 16, geht nun wieder an eine Berliner Schule, an der sie auch ihren Abschluss machen wird.

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Koala Bär
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