Eintauchen ins spanische Lebensgefühl
Endlich war es so weit: Nach einem tränenreichen Abschied saß ich im Flugzeug nach Valencia und versuchte, die spanische Zeitung „El País“ zu entziffern. Um mich gründlich auf das Auslandsabenteuer vorzubereiten, hatte ich sämtliche Erfahrungsberichte, die ich in die Finger bekommen konnte, gelesen und so viele Informationen wie möglich über mein zukünftiges Gastland verschlungen.
Trotzdem fühlte ich mich ein wenig unsicher, als ich am Flughafen nach meinen Gasteltern und meiner 13-jährigen Gastschwester Ausschau hielt. Diese Befangenheit war jedoch verflogen, als ich mit den typischen „besos“, Küsschen auf die Wange, begrüßt wurde. Auf dem Weg zu meinem neuen Zuhause machte ich die erste Bekanntschaft mit der spanischen Hitze, welche sofort Urlaubsstimmung bei mir aufkommen ließ. In Rocafort, einem Bezirk von Valencia, angekommen, wurde ich sogleich dazu eingeladen, mich wie zu Hause zu fühlen. Nachdem mir mein Zimmer gezeigt worden war und ich allein neben meinem Koffer stand, wurde mir auf einmal klar, dass ich die nächsten zehn Monate ohne meine Familie und Freunde in einem anderen Land mit einer fremden Sprache leben würde. Mir blieb jedoch keine Zeit, länger darüber nachzudenken, denn nur wenige Minuten später saßen wir schon in einer örtlichen Tapasbar und ließen uns „Patatas Bravas“ und „Calamares“ schmecken.
Zwei Tage später fing die Schule an. Ich hatte das britische Cambridge House Community College in Rocafort ausgewählt, da es mir wichtig war, auch mein Englisch zu verbessern. Mein Stundenplan bestand hauptsächlich aus Fächern wie Mathematics, Business Studies und English Literature, daneben hatte ich mich für Literatura española und Geografía entschieden. Als ich meiner neuen Klasse vorgestellt wurde, befand ich mich in einem Zustand nervöser Anspannung, doch es stellte sich schnell heraus, dass meine Aufregung umsonst gewesen war. Ich wurde herzlich von meinen Schulkameraden begrüßt und innerhalb weniger Stunden hatte ich mehr Bekanntschaften gemacht, als ich mir Namen merken konnte. Auch die Lehrer machten es sich zur Aufgabe, mir die Eingewöhnung so einfach wie möglich zu gestalten, und standen mir immer mit Rat und Tat zur Seite. Da ich in die 12. Klasse eingestuft worden war, fiel es mir am Anfang nicht leicht, dem Unterricht zu folgen, und auch der lange Schultag bis 16:30 Uhr machte mir zu schaffen. Zu diesem Zeitpunkt kam mir das von meiner Austauschorganisation veranstaltete dreitägige Treffen in Madrid gerade recht, gab es mir doch die Gelegenheit, mich mit sieben gleichgesinnten Schülern auszutauschen. Wir besuchten mit unserer lustigen Truppe viele Sehenswürdigkeiten und aßen Paella, welche jedoch, wie ich später wiederholt feststellte, mit der valencianischen Variante in keinster Weise zu vergleichen war. Alles in allem kehrte ich voller Begeisterung für die spanische Hauptstadt und gewappnet für jegliche Herausforderung nach Rocafort zurück.
Tatsächlich begann ich innerhalb weniger Wochen, mich an den südländischen Lebensrhythmus anzupassen. Das Essen zu nächtlicher Stunde und Brötchen mit Olivenöl statt Butter wurden genauso Teil meines Alltags wie der tägliche Schulweg durch palmengesäumte Straßen. Die Offenheit und Neugier der Spanier erleichterten mir die Eingewöhnung in meinem neuen Zuhause ungemein. Ich war die einzige Austauschschülerin der Schule und wurde mit großer Selbstverständlichkeit in den Freundeskreis fünf spanischer Mädchen aufgenommen. Wir gingen zusammen zur Schule und verbrachten jede Pause zusammen, wobei ich mit meinen Sprachkenntnissen oft an der Schnelligkeit der Konversationen scheiterte. Nichtsdestotrotz konnte ich immer auf die Unterstützung meiner Freundinnen zählen, und habe es wohl auch ihnen zu verdanken, dass sich mein Spanisch schnell verbesserte. Da ich mir vorgenommen hatte, die spanische Kultur von all ihren Seiten zu entdecken, war es mir ein großes Anliegen, Flamenco zu lernen. Meine Gastmutter unterstützte mich in dieser Hinsicht und machte nicht nur eine Tanzschule in der Nachbarschaft ausfindig, sondern besorgte mir auch einen passenden Rock von ihrer Schwester. Von nun an widmete ich mich jeden Dienstag und Donnerstag dem „baile flamenco“ und kam mit jedem Schritt dem spanischen Lebensgefühl ein wenig näher.
„Ausgerüstet mit schrägen Kopfbedeckungen und jeweils zwölf Weintrauben erwarteten wir zusammen mit tausenden Menschen das neue Jahr“
Die Tage flogen nur so dahin und bald stand schon Weihnachten vor der Tür. Auf Schnee und echte Tannenbäume wartete ich vergeblich. Dies tat der Feststimmung jedoch keinen Abbruch, im Gegenteil, die Innenstadt erstrahlte im Schein unzähliger Lichterketten. An Heiligabend ließ ich dem Heimweh keine Chance und erlebte die deutschen Feierlichkeiten per Skype. Danach versammelte ich mich mit meiner Gastfamilie und deren Verwandten um einen reich gedeckten Tisch. Es wurden Lieder gesungen und „turrón“, spanisches Mandelnougat, gegessen. Ein weiteres Highlight der Winterferien war die Kurzreise nach Madrid zu Silvester mit meiner Gastfamilie. An „Nochevieja“, der letzten Nacht des Jahres, versammelten wir uns nach spanischer Tradition auf der Puerta del Sol, einem riesigen Platz. Ausgerüstet mit schrägen Kopfbedeckungen und jeweils zwölf Weintrauben erwarteten wir zusammen mit tausenden Menschen das neue Jahr. Zu jedem Glockenschlag der Turmuhr wurde eine der Trauben verspeist, was Glück für das kommende Jahr bringen sollte. Obgleich ein leichter Nieselregen fiel und man sich kaum in den Menschenmassen bewegen konnte, war es ein unbeschreibliches Gefühl, an diesem Ereignis teilzuhaben. Am nächsten Tag überraschten mich meine Gasteltern mit Eintrittskarten für das Musical „Sonrisas y Lagrimas“ im Teatro Coliseum. Ich genoss die Aufführung sehr, zumal ich dem Geschehen auf der Bühne ohne Probleme folgen konnte.
„Zu meiner großen Freude entdeckte ich die eingebackene Münze, woraufhin ich für einen Tag Königin sein durfte“
Kurz nach unserer Rückkehr aus Madrid wurde bereits die Ankunft der Heiligen Drei Könige mit einem riesigen Umzug gefeiert. Die „Reyes Magos“ fuhren auf geschmückten Festwagen durch die Straßen der Stadt und warfen uns Bonbons und andere Süßigkeiten zu. In der Nacht zum 6. Januar stellten wir unsere Schuhe auf und am nächsten Tag fand ich tatsächlich einige Geschenke zum Auspacken vor. Danach gab es beim Frühstück mit der ganzen Familie den traditionellen Dreikönigskuchen „Roscón de Reyes“. Zu meiner großen Freude entdeckte ich die eingebackene Münze, woraufhin ich für einen Tag Königin sein durfte. Am nächsten Morgen fing der Ernst des Lebens wieder an. Allerdings erschien mir der Unterricht weniger schwierig und auch die Hausaufgaben gingen mir mühelos von der Hand. Mit meinen Freundinnen fuhr ich nahezu jeden Freitag in die Innenstadt, um den Beginn des Wochenendes mit einem „Frozen Yogurt“ zu feiern. Auf die Metro als Hauptbeförderungsmittel angewiesen, kannte ich das Liniennetz Valencias bald besser als so mancher Einheimischer und fand mich ausgezeichnet zurecht.
„Rückblickend kann ich mit Sicherheit sagen, dass diese Zeit die spannendste, aufregendste, lehrreichste und wichtigste meines Lebens war“
Mitte März hatten wir aufgrund der „Fallas“ einige Tage schulfrei. Während dieses Frühlingsfestes zeigte sich Valencia von einer völlig anderen Seite. Bis zu 20m hohe Pappmaschee-Figuren, die sogenannten „Fallas“, wurden an jeder Ecke errichtet, die Ortsansässigen trugen ihre Trachten und alle zogen feiernd und tanzend durch die überfüllten Straßen. Fünf Tage lang ernährte ich mich fast ausschließlich von den frittierten Teigbällchen „Buñuelos“ mit Schokolade und musste immer auf der Hut vor ohrenbetäubenden Böllerkonzerten sein. Die abschließende Verbrennung der „Fallas“, „Cremà“ genannt, beeindruckte mich besonders. Um Mitternacht verwandelte sich ganz Valencia in ein einziges Flammenmeer. Die „Fallas“ brannten lichterloh, es regnete Funken und die Menge wich ehrfurchtsvoll zurück. Die nachfolgenden Osterferien gaben mir die Gelegenheit, mich abermals zu erholen. Der dritte Term begann alsbald und somit auch der Prüfungsstress. Ich hatte mich nach Absprache mit meinen Lehrern dazu entschlossen, sowohl ein gesamtes A-level (Advanced level) in Spanisch als auch ein AS-level (Advanced Subsidiary level) in Business Studies abzulegen. Das Schuljahr am Cambridge House Community College schloss ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge ab, da ich es mit vielen schönen Erinnerungen verband.
Dafür lag nun ein Monat voller Freiheit und toller Erlebnisse vor mir. Der Anfang der Sommerferien wurde ausgiebig bejubelt und eine Freundin lud zu einer großen Kostümparty ein. In den letzten drei Wochen meines Aufenthaltes wurde „Fiesta y Siesta“ bei uns großgeschrieben. Das Kartenspiel UNO rangierte mit Abstand auf Platz eins unserer liebsten Freizeitbeschäftigungen, dicht gefolgt von Geburtstagsfeiern, Einkaufen in Valencia, Strandbesuchen und Abendessen bei Tommy Mel´s, einem amerikanischen Diner. Als schließlich die Stunde des Abschieds nahte, hatte ich sehr gemischte Gefühle. Zwar würde ich mein neues Leben vermissen, aber gleichzeitig wusste ich, dass dieser Abschied nicht für immer sein würde. Voller Vorfreude auf den geplanten Besuch meiner spanischen Freundinnen in Deutschland flog ich nach Hause. Rückblickend kann ich mit Sicherheit sagen, dass diese Zeit die spannendste, aufregendste, lehrreichste und wichtigste meines Lebens war. Wenn ihr auch diesen Schritt wagt, werdet ihr euer Leben lang von den Erfahrungen profitieren. Also packt eure Koffer und macht euch auf den Weg!
Laura Ahlborn, 17, wird 2015 ihr Abitur mit sprachlichem Schwerpunkt absolvieren. Sie plant, danach Economics and International Relations in Schottland zu studieren. Gerne würde sie dann ein Erasmus-Semester in Spanien verbringen. Aber bis es so weit ist, wird sie ihre Freundinnen sicherlich oft in Valencia besuchen.
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