10 Monate Internat in den USA

Ein unvergessliches Schulabenteuer

weltweiser · USA · Internat · Privatschule
  • GESCHRIEBEN VON: MAX BOEHM
  • LAND: USA
  • AUFENTHALTSDAUER: 10 MONATE
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 1 / 2011, S. 16-18

Normalerweise fällt es mir ausgesprochen schwer, früh aufzustehen, doch an jenem Morgen im August war ich sofort hellwach. Endlich war es so weit, ich würde in die Vereinigten Staaten fliegen und Deutschland für zehn Monate hinter mir lassen.

Nach einem nicht leichten Abschied von meiner Familie und meinen Freunden bestieg ich das Flugzeug, das mich in die „Neue Welt“ bringen sollte. Mit an Board: alle anderen 53 deutschen Stipendiaten meiner Organisation, die ausschließlich an amerikanische Privatschulen vermittelt. Unser Ziel war die Pomfret School in Massachusetts, wo wir auf die restlichen Stipendiaten aus aller Welt trafen und uns auf einer viertägigen Orientierungsveranstaltung auf unser Auslandsjahr vorbereiteten. Neben Seminaren und Workshops standen unter anderem auch ein Ausflug nach Boston und eine Führung durch die Harvard University auf dem Programm. Die vielen neuen Eindrücke waren für mich, der ich noch nie vorher in den USA gewesen war, einfach überwältigend. Schnell freundete ich mich mit den anderen Schülern an und konnte am letzten Abend gar nicht glauben, dass die gemeinsame Zeit schon vorbei sein sollte.

Da die für mich und zwei weitere Schüler ausgesuchte Schule im Bundesstaat New York erst Anfang September beginnen würde, ging es für uns drei erst einmal weiter nach Neuengland, genauer nach New Hampshire. Dort verbrachten wir drei Tage im Ferienhaus von Ms. Wolter, der Koordinatorin und Betreuerin für internationale Schüler unserer zukünftigen Schule. Zusammen fuhren wir Wasserski, bestiegen den Mount Washington und wanderten durch die traumhafte Landschaft New Hampshires. Unser nächstes Ziel war Connecticut, wo wir bei einem Lehrer drei weitere Tage verbrachten. Ich war schon zu diesem Zeitpunkt zutiefst beeindruckt von der Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Amerikaner und fühlte mich überall von Anfang an sehr wohl und willkommen. Welcher Lehrer nimmt schon drei Schüler im eigenen Haus auf? Die nächste Station meiner Reise war das Haus meiner Gastfamilie, die auch während des Schuljahres mein Ansprechpartner sein sollte. Hier scheute man ebenfalls keine Mühen, mir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Mit meinen Gasteltern und Gastgeschwistern verstand ich mich vom ersten Moment an sehr gut und besuchte sie während des Schuljahres an so manch einem Wochenende. Einer meiner Gastbrüder ging sogar auf dieselbe Schule wie ich.

junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
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Ich hatte mich bereits so gut eingelebt, dass ich eigentlich gar nicht mehr von dort wegwollte. Daran führte jedoch kein Weg vorbei, denn meine Privatschule war ein Internat. Meine Gastfamilie setzte mich also vor der Masters School in Dobbs Ferry ab, einem malerischen Städtchen direkt am Hudson River im Staat New York gelegen. Das war also der Ort, an dem ich mein Auslandsschuljahr verbringen würde! Ich war beeindruckt von der Größe des Campus, einer riesigen Parkanlage mit zahlreichen historischen Bauwerken. „Hier werde ich mich bestimmt verlaufen!“, war mein erster Gedanke. Neben dem Schulgebäude zählte ich drei Turnhallen, vier Sportfelder, drei separate Bauten für Naturwissenschaften, Musik und Kunst, eine Bibliothek, eine Mensa, ein prachtvolles Haus für festliche Anlässe, mehrere Wohngebäude für die Schüler, genannt „dormitories“, und zahlreiche Lehrerhäuser. Mir wurde mein „dormitory“ gezeigt: Thompson, das älteste und schönste der Schule. Am Abend des ersten Schultages hatte ich bereits unzählige Hände geschüttelt und jede Menge andere freundliche Internatsschüler getroffen, die sich freuten, endlich die „Neuen“ kennenzulernen. Zwar konnte ich mir keinen einzigen Namen merken, aber ich fühlte mich vom ersten Tag an pudelwohl an der Masters School mit ihren etwa 400 Schülern.

„fünf Stunden Hausaufgaben am Tag waren keine Seltenheit“

Ich erhielt meinen Stundenplan. Darauf standen die Fächer Englisch, Mathe, American History, Spanisch, Humanphysiologie und -anatomie, Forensik, Desktop Publishing und Public Speaking sowie eine gute Anzahl Freistunden. „Hört sich doch gut an!“, dachte ich. Der erste Schultag konfrontierte mich jedoch schnell mit der Realität. Ab nun hieß es für mich: lernen, lernen, lernen. Zunächst war ich geradezu geschockt angesichts des überwältigenden Pensums an Hausaufgaben und dem sehr hohen Unterrichtsniveau. Das war ich nun wirklich nicht gewohnt! Zu Anfang kam ich in kaum einem Fach mit und die Menge an Hausaufgaben wurde nicht weniger, sondern mehr und mehr. So waren fünf Stunden Hausaufgaben am Tag keine Seltenheit. In den ersten Wochen warf mich der ganze Schulstress ziemlich „aus der Bahn“, und auch die Tatsache, mit wenig Schlaf auszukommen, machte mir zu schaffen. Doch dann merkte ich, dass man sich an fast alles gewöhnen kann, und je mehr sich mein Englisch verbesserte, desto stärker wurden meine schulischen Leistungen. Ich lernte, dass das Wichtigste ist, ja nicht den Anspruch an sich selbst zu verlieren und immer sehr diszipliniert und zielstrebig zu arbeiten. Auch wenn ich an manchen, besonders arbeitsintensiven Tagen am liebsten alles „hinschmeißen“ wollte.

„Ich musste mich zum Beispiel um die eigene Wäsche kümmern, was, wie ich schnell feststellte, doch eine größere Sache ist“

Ich war nicht nur akademisch sehr eingespannt, sondern schloss mich zudem einigen Clubs an. So war ich Mitglied im Spanish Club, im International Club und im Model United Nations Club. Außerdem hatte ich jeden Tag zwei Stunden Fechttraining, leistete „Community Service“ und betreute zusätzlich eine Nachhilfeschülerin, der ich in Spanisch half. Zusätzlich gab es rein organisatorisch einiges zu leisten. Ich musste mich zum Beispiel um die eigene Wäsche kümmern, was, wie ich schnell feststellte, doch eine größere Sache ist. Ich war wirklich von morgens bis abends beschäftigt. Dennoch war es alles in allem unmöglich, sich nicht wohlzufühlen. Wir hatten eine wirklich einzigartige Schulgemeinschaft, in der keiner ausgeschlossen oder diskriminiert wurde, und das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern war ganz anders als in Deutschland. Da nur circa zehn Schüler in einer Klasse waren, baute ich eine sehr persönliche und freundschaftliche Beziehung zu meinen Lehrern auf. Ich wusste, dass ich immer auf meine Lehrer „zählen“ und jederzeit Hilfe bekommen konnte; bei Lehrern, die auf dem Campus wohnten, sogar noch um Mitternacht.

In meinem „dormitory“ fand ich wirklich ein zweites Zuhause. Dadurch, dass wir Schüler von morgens bis abends miteinander lebten, entwickelten sich Freundschaften, die außerhalb der Atmosphäre des Internats so nicht denkbar gewesen wären. Der große Anteil internationaler Schüler ermöglichte es mir, Kontakte zu Menschen aus allen Ländern und Kulturen der Welt zu knüpfen. Ich unterhielt mich mit einem Südkoreaner über die Lage in seinem Heimatland, bekam von einem Japaner beigebracht, wie man Sushi macht, diskutierte mit einem Franzosen und einem Saudi-Araber über Hochschulen und ließ mir von einem Amerikaner eine englische Redewendung erklären – und das alles an einem Tag! Mit meinem „roommate“, meinem Zimmergenossen, der aus New York City stammte, verstand ich mich vom ersten Tag an bestens. Seine Hilfe war maßgeblich dafür, dass ich mich so schnell an den harten Schulalltag gewöhnte. So anstrengend die Schulwochen waren, so aufregend waren die Wochenenden. New York City war nur einen Katzensprung entfernt und nach einer nur halbstündigen Zugfahrt war man in einer der wohl aufregendsten Städte der Welt. Im Rahmen von Schulausflügen besuchte ich mehrere Broadway-Shows, darunter „The Lion King“ und „Westside Story“, nahm an einer Führung durch die CBS/NBCStudios im Rockefeller Center teil und schaute mir eine Inszenierung von „Aida“ in der Metropolitan Opera an, um nur einige wenige der vielen Highlights zu nennen. Praktisch war zudem, dass viele meiner Schulfreunde in Manhattan wohnten, sodass ich am Wochenende immer eine Übernachtungsmöglichkeit im „Big Apple“ hatte. Eines meiner lustigsten Erlebnisse war Halloween, eine Nacht, in der es schien, als sei ganz New York City auf den Beinen, um in den schrillsten Kostümen auf den Straßen zu feiern.

„Noch in unseren Schlafanzügen fuhren wir beispielsweise jeden Morgen durch den Drive-In eines Schnellrestaurants, um Frühstück zu holen“

Die Wochen flogen nur so dahin. Ehe ich mich versah, standen Ende November schon die ersten Ferien vor der Tür. Zu „Thanksgiving“ lud mich eine Freundin zu ihrer Familie nach Savannah in Georgia ein. So lernte ich auch den Lebensstil im Süden Amerikas kennen, der einen starken Kontrast zum strengen Internatsleben in New York darstellte. Noch in unseren Schlafanzügen fuhren wir beispielsweise jeden Morgen durch den Drive-In eines Schnellrestaurants, um Frühstück zu holen. Das schien dort ganz normal zu sein. Das Wetter war bedeutend wärmer als im Nordosten der USA, und so kam es, dass wir uns Ende November am Strand sonnten. Mir tat diese Abwechslung wirklich gut und ich kehrte voller Energie und Enthusiasmus ins Internat zurück. Die Winterferien verbrachte ich bei meiner Gastfamilie, die ich bereits sehr vermisst hatte. Die meiste Zeit waren wir komplett eingeschneit. Noch nie hatte ich so viel Schnee gesehen! Meine Gastbrüder und ich vertrieben uns die Zeit mit Schlittenfahren und Schneeballschlachten. Die Ferienfreude war allerdings nicht ganz ungetrübt, da ich leider eine Unmenge Hausaufgaben aufbekommen hatte. Aber mittlerweile machte mir die viele Arbeit nicht mehr so viel aus. Ich hatte gelernt, besser damit umzugehen.

“Danach überschlugen sich die Ereignisse regelrecht”

Ab Januar nahm das Schul- und Wochenendleben wieder seinen gewohnten Gang und ich erlebte schöne und spannende Monate im Internat. Die Frühjahrsferien verbrachte ich bei einem Freund in New Jersey. Wenige Tage nach Schulbeginn war ich schon wieder unterwegs und zwar auf dem traditionellen Trip für alle internationalen Schüler, der uns in die Hauptstadt nach Washington D.C. führte. Danach überschlugen sich die Ereignisse regelrecht: Das Wetter änderte sich schlagartig von kalt zu warm, die Abschlussprüfungen standen auf einmal vor der Tür und meine Eltern kamen mich besuchen. Kurz vor Ende des Schuljahrs erlebte ich einen unvergesslichen „Prom“, den amerikanischen Abschlussball. Dann waren die Prüfungen auch schon geschrieben, mit einer feierlichen Zeremonie wurde der Abschlussjahrgang der Schule verabschiedet und auf einmal saß ich im Flugzeug nach Hause, in Gedanken noch ganz in Amerika.

„Heimweh hatte ich kein einziges Mal“

Mein Fazit: Das Auslandsjahr war ohne jeden Zweifel das bisher beste Jahr meines Lebens! Mein ganzes Weltbild hat sich stark verändert und ich habe meinen Horizont erweitert. Im Nachhinein merke ich, wie unglaublich kurz so ein Jahr doch sein kann. Heimweh hatte ich kein einziges Mal – ich glaube, dazu hatte ich einfach keine Zeit. Ich habe unglaublich viel gelernt, sowohl charakterlich als auch akademisch. Nach all dem Schulstress, den ich erlebt habe, kann mich so schnell nichts mehr schocken. Außerdem kann ich nur sagen, dass Amerikaner die offensten und warmherzigsten Menschen sind, die man sich vorstellen kann. Sie sind kein bisschen oberflächlich, wie man es so oft hört. Ich habe in den Staaten Freunde fürs Leben gefunden und in nur einem einzigen Jahr so viel erlebt und gesehen, dass dieser Bericht nur einen kleinen Ausschnitt wiedergeben kann. Ich rate jedem, sich für ein Auslandsjahr zu entscheiden, denn man kann nur gewinnen!

Max Böhm, 16, besucht die Oberstufe eines Gymnasiums in Moers. Er träumt davon, nach dem Abitur in den USA zu studieren.

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