Work and Travel in Neuseeland
Ein Abenteuer unter Kiwis erwartete uns, nachdem meine beste Freundin Viola und ich ins Flugzeug gestiegen waren und den heimischen Boden hinter uns gelassen hatten. Kiwis sind das Nationalsymbol Neuseelands. Damit ist nicht etwa die Frucht gemeint, auch nicht die Einwohner selbst, sondern ein nachtaktiver Vogel mit einem langen Schnabel und einem gut ausgeprägten Geruchssinn.
Moment mal! Ich horche – war da etwas? Ach nein, es war nur ein Ast. Viola und ich befinden uns im Trounson Kauri Park, wo man angeblich Kiwis in freier Wildbahn erleben kann. Die Herausforderung ist nur: Es ist stockdunkel! Schritt für Schritt laufen wir auf feuchten Holzplanken durch den Wald. Das Mondlicht zeichnet schemenhaft die Bäume nach. Auch wenn unsere Taschenlampe nicht viel Licht spendet, wollen wir sie lieber nicht benutzen, da wir sonst womöglich die Kiwis verschrecken. „Schau mal dort!“ Im kleinen Bächlein schlängelt sich ein Aal. Ich habe noch nie zuvor einen lebendigen Aal in freier Natur gesehen, dazu glimmen die vielen Glühwürmchen im Wald wie Sterne. Einen Kiwi haben wir jedoch nicht entdeckt, dafür eine Gruppe von Menschen, angeführt von einem „Park Ranger“, der mit einer rot leuchtenden Lampe gelegentlich auf ein paar Stellen zeigt. Haben sie einen Kiwi gesehen? Wir werden es wohl nie erfahren.
Das war nur eines von vielen Abenteuern, die wir in Neuseeland erlebten – und die meisten waren wesentlich aufregender als unser nächtlicher Spaziergang im Nationalpark. Als ich Neuseeland mehr und mehr kennenlernte, fragte ich mich, warum ich vorher so wenig von dem Land gehört hatte. Als Entschuldigung könnte ich jetzt anbringen, dass ich kein großer Fan der „Herr der Ringe“-Trilogie bin, doch Tatsache ist, dass Neuseeland so viel mehr zu bieten hat als eine Filmkulisse. Es ist ein Phänomen, wie vielfältig die Natur in diesem verhältnismäßig kleinen Land ist. Es gibt Sanddünen, die man auf einem Board herunterrutschen kann, traumhaft schöne Strände und Regenwälder, in denen zu wandern ein Vergnügen ist, sofern es nicht regnet. Man kann Gletscher entdecken, die sich fast auf Meeresspiegelhöhe befinden, und bezaubernde, verlassene Fjorde, wo Tiere wie Delfine, Pinguine und Robben leben. Nicht zu übersehen sind natürlich die Neuseeländischen Alpen, die das Herz jedes Reisenden höher schlagen lassen. Wo bei uns in Deutschland Millionen von Menschen leben, dominiert in „Aotearoa“ die Natur.
Viola und ich kauften uns kurz nach der Ankunft einen alten, blauen Toyota Hiace. Zu unserer Entzückung gab es anstelle der Rücksitze ein eingebautes Bett. Als wir bei unserer ersten Fahrt mit 100km/h am Tempolimit auf dem „State Highway 1“ unterwegs waren, fiel uns gleich die Freundlichkeit der Menschen auf. Jedes Mal, wenn uns ein anderer Autofahrer begegnete, machte er ein Handzeichen zur Begrüßung. Anfangs waren wir recht irritiert: „Was will der von uns?“ Doch dann begriffen wir, dass man in Neuseeland mit Fremden ebenso freundlich umgeht wie mit alten Bekannten. Die Offenheit und Gastfreundschaft der Menschen sollten wir noch häufiger erleben. Beispielsweise waren wir in Te Anau, einer Stadt auf der Südinsel Neuseelands in der Nähe bekannter Fjorde. Wir saßen im Auto und beratschlagten, wo wir diese Nacht schlafen sollten. In unserer Broschüre hatten wir gerade einen geeigneten Campingplatz gefunden, als eine ältere Frau mit lustigen, rot gefärbten Haaren herankam und uns fragte, ob wir die Nacht nicht bei ihr verbringen wollten. Sie würde jetzt noch Eiscreme für uns kaufen und uns in ein paar Minuten bei ihrem Haus treffen. Wir waren so erstaunt, das glaubt ihr nicht! Die folgenden drei Nächte nahm sie uns bei sich im Haus auf, wir bekamen sogar ein eigenes Zimmer. Ich fand es sehr bemerkenswert, wie viel Vertrauen sie uns schenkte.
„Unser erster Job fand für zwei Monate auf einem Mandarinenfeld statt“
Die Neuseeländer sind im Allgemeinen sehr gelassen. Der häufig verwendete Ausdruck „She`ll be right!“ drückt genau das aus, was man sich in kritischen Situationen denkt: „Das wird schon wieder, keine Panik.“ Ein Beispiel erlebten wir während der Arbeit auf einem Feld. Beim Jäten hatte ein Junge seinen iPod irgendwo auf 300.000 m² grün bewachsener Fläche zwischen den Blättern verloren. Die Aufseherin wies uns zu unserer Überraschung an, das Unkrautzupfen zu beenden und stattdessen das elektronische Gerät zu suchen. Ich persönlich hätte dies niemals für möglich gehalten, doch es tauchte tatsächlich wieder auf! Damit sind wir auch schon beim Thema Arbeiten: Unser erster Job fand für zwei Monate auf einem Mandarinenfeld statt. Wir waren zum Ausdünnen der Äste angeheuert worden: „Mandarin thinning“ war das Schlüsselwort. Tagein, tagaus standen wir mit den 27 Bewohnern unseres Hostels zwischen den Mandarinenbäumen und zupften fleißig kleine, grüne Mandarinen ab. Im besten Fall warfen wir sie nicht auf die Aufseherin, sondern nur auf unsere Freunde.
„Die Zeit mit den vielen Leuten im Hostel war sehr schön und bereichernd“
Mit unseren Mitbewohnern teilten wir nicht bloß den Wohnraum, sondern kochten gemeinsam, guckten uns Filme an, lagen am Strand oder am Wasserfall und feierten zusammen Weihnachten und Silvester. Außerdem mussten wir gegen unseren gewöhnungsbedürftigen Hostelleiter Maik zusammenhalten. Der machte es sich nämlich gelegentlich zur Aufgabe, unsere Partys zu beenden, indem er ins Zimmer kam und nicht einfach den Stecker aus der Steckdose zog, sondern gleich die gesamte Musikanlage mitnahm. Die Zeit mit den vielen Leuten im Hostel war sehr schön und bereichernd. Wenn man unterwegs ist, hat man bei Begegnungen mit anderen Backpackern meist nur wenig Zeit, sich zu unterhalten. Dann erzählt man bloß zum wiederholten Male, dass man aus Deutschland kommt und gerade die Schule beendet hat. Im Hostel war der Kontakt viel intensiver, wir sahen die anderen morgens beim Frühstück, während der Arbeit und bis zum Schlafengehen, wenn wir nach dem gemeinsamen Grillen Zähne putzten, uns in unsere Stockbetten legten und „goodnight“ durchs Zimmer riefen. Viola und ich haben dort sehr gute Freunde gefunden, worüber ich unglaublich glücklich bin. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es wäre, diese Menschen niemals getroffen zu haben.
„Der Weg nach oben war allerdings trickreich – es gab keinen“
Viele Backpacker, die wir kennenlernten, kamen ebenfalls aus Deutschland. Das trug nicht unbedingt zur Verbesserung der Englischkenntnisse und zum interkulturellen Austausch bei, aber wenigstens standen die Chancen gut, dass wir uns nach dem Auslandsjahr in Neuseeland wiedersehen würden. Wir entwickelten ein Spiel, das Heimatland anderer Backpacker zu bestimmen, bevor wir mit ihnen gesprochen hatten. Ein ausschlaggebender Faktor war die Marke des Rucksacks: „Deuter“ gab zu circa 90% Aufschluss darüber, dass es sich um einen Backpacker deutscher Herkunft handelte. Die französische Marke „Quechua“ hingegen wies zu circa 70% auf Frankreich als Heimatland hin. Unser persönlicher Favorit in Neuseeland war „Kathmandu“, die Marke unseres hübschen, tarnfarbenen Zeltes, das uns auf so mancher abenteuerlichen Wanderung begleitete. Dafür boten die „Great Walks“ reichlich Gelegenheit, die neun große, mehrtägige Wanderungen durch verschiedenste Landschaften umfassen. Zu den Highlights gehörte die Erklimmung des Mount Ngauruhoe im Tongariro National Park. Es handelt sich um einen Vulkan, der nicht nur in Peter Jacksons „Herr der Ringe“ als Inspiration für den Schicksalsberg diente, sondern auch täglich mutige Wanderer reizt, ihn zu besteigen und die wunderbare Aussicht zu genießen. Der Weg nach oben war allerdings trickreich – es gab keinen. Man musste die 2.291m also nach dem Prinzip „two steps forward, one step back“ bezwingen. Auf der Asche des Mount Ngauruhoe war das ein sehr mühseliges Unterfangen, und ich hätte zwischendurch beinahe aufgegeben, aber irgendwie kam ich nach zwei Stunden doch noch oben am Kraterrand an und wurde mit einem Blick auf einen glasklaren See und rauchende Vulkane belohnt.
“Hinab ging es für fast eine Minute im freien Fall“
Wir begaben uns sogar noch weiter nach oben: Einen Tag vor meinem Geburtstag wagten wir einen Fallschirmsprung aus dem Flugzeug aus 5.000m Höhe. Mit dem Tandemmaster und unserem persönlichen Fotografen kreisten wir im gelben Flugzeug zunächst zwanzig Minuten über dem Lake Taupo und gewannen dabei mehr und mehr Abstand zum Boden. Als ich aus dem Fenster schaute, dachte ich noch nicht daran, dass ich da gleich herunterfallen würde, ganz bis nach Newton. Ich war gar nicht so aufgeregt wie erwartet, es blieb aber auch kaum Zeit, nervös zu werden. Außerdem war ich ja nicht allein. Freddy, mein erfahrener Tandemmaster, redete mit mir und nahm mir jegliche Angst. Viola war als Erste dran, dann ich: schaukeln, schaukeln und hopp! Hinab ging es für fast eine Minute im freien Fall. Das war wirklich ein starkes Gefühl. Ich hatte befürchtet, nicht gut atmen zu können, aber das Kreischen und Freuen funktionierte ganz hervorragend! Es war jedoch nicht so leicht, meine Finger zu koordinieren, als ich für die Kamera ein „NZ“ formen wollte. Danach waren wir für den Rest des Tages regelrecht beflügelt! Wie ihr seht, haben wir einiges erlebt und viel Abenteuerliches unternommen. Ich könnte noch viele Seiten über meine Liebe zu Neuseeland schreiben, aber das Beste ist, ihr fliegt selbst hin und macht eure eigenen, wertvollen Erfahrungen. Ich kann nur allen, die anderen Menschen und Kulturen gegenüber aufgeschlossen sind, empfehlen, sich ebenfalls auf Reisen zu begeben. Wie heißt es so schön: Man lernt etwas fürs Leben.
Christabel Mennicken, 19, studiert Humanbiologie in Marburg. Musik ist seit vielen Jahren ihre Leidenschaft, außerdem liest sie sehr gerne und schreibt auch selbst Geschichten. Während ihres Studiums hofft sie auf einen weiteren Auslandsaufenthalt.
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