Im Land von Rosamunde Pilcher

Vier Monate Austausch in Cornwall

weltweiser · Austausch · England · Cornwall
  • GESCHRIEBEN VON: MELISSA SCHMIDT
  • LAND: ENGLAND
  • AUFENTHALTSDAUER: 4 MONATE
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 9 / 2019, S. 22-23

Mit dem Gedanken, einen Schüleraustausch zu machen, spielte ich eigentlich schon relativ lange, da meine Mutter mir immer von ihrem Auslandsaufenthalt in Brasilien erzählt hatte. Das klang so interessant und spannend und sie sagt bis heute, dass ihr diese unvergessliche Zeit niemand mehr nehmen kann. Also besuchten ich und meine beste Freundin die JugendBildungsmesse in Mannheim, um uns über die verschiedenen Organisationen und Möglichkeiten zu informieren.

Nach langem Überlegen konnten wir uns endlich auf eine Organisation einigen und ich begann mich zu bewerben und Vorstellungsgespräche zu führen. Als dann der Brief mit meiner Zusage kam, freute ich mich sehr, war jedoch auch etwas besorgt, da der Traum vom Schüleraustausch langsam zur Realität wurde. Vier Monate in einem fremden Land, in meinem Fall England, ohne Familie und Freunde kamen mir damals vor wie vier Jahre. Ein paar meiner Ängste konnten mir jedoch auf unserem zweitägigen Vorbereitungsseminar genommen werden, bei dem uns die häufigsten Szenarien wie beispielsweise Heimweh erklärt wurden und wie man am besten damit umgehen sollte. Außerdem wurde uns der allgemeine Ablauf geschildert, und ein Mädchen, welches im letzten Jahr in England gewesen war, erzählte uns von ihren tollen Erfahrungen.

Einen Monat vor meinem Abflug in Frankfurt erfuhr ich, wer meine Gastfamilie sein sollte und in welchen Teil von England meine Reise gehen würde, nämlich nach Cornwall. Das Erste, was den meisten einfiel, als ich erzählte, dass ich meinen Auslandsaufenthalt dort verbringen würde, war: „Oh, Cornwall. Das ist ja schön, da werden die ganzen Rosamunde-Pilcher-Filme gedreht.“ Nach dem Abschied von meiner Mutter, bei dem ich nur mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte, ging es schon in den Flieger nach London Heathrow. Eine Mitarbeiterin der Organisation begleitete uns Austauschschüler, da unsere Gruppe 27 Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren umfasste. In London angekommen, trafen wir auf die Leiterin unserer englischen Partnerorganisation und den Betreuer, der für meinen Teil von England zuständig war und an den ich mich bei Problemen immer wenden konnte. Er wohnte mit seiner Frau nur eine halbe Stunde mit dem Zug entfernt und besuchte uns nach dem ersten Monat in der Ferne, um zu sehen, wie wir uns eingelebt hatten.

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Zunächst blieben wir mit den beiden für ein Wochenende in einem Hotel in der Nähe des Flughafens. Samstags machten wir eine Sightseeing-Tour, eine Fahrt mit dem London-Eye und besuchten das Broadway-Musical „Wicked“. Mein Hotelzimmer teilte ich mir mit zwei anderen Mädchen, die im gleichen Ort wie ich leben würden. Am Sonntag bestiegen wir dann den Bus, der uns, nach knapp fünf Stunden Fahrt, in unser neues Zuhause, das beschauliche 10.000-Seelen-Städtchen Liskeard in Cornwall brachte. Dort hieß mich meine Gastfamilie, bestehend aus Mutter, Vater und zwei Söhnen, von denen jedoch nur der jüngere 21-jährige noch zu Hause wohnte, sowie dem Familienhund Molly, willkommen. Ich hatte ein gemütliches, kleines Zimmer im zweiten Stock mit Blick auf den Garten, und da wir mit dem Auto nur 15 Minuten vom Meer entfernt waren, hörte ich morgens die Möwen. Bevor die Schule begann, hatte ich noch eine Woche, um mich einzugewöhnen und ein bisschen die Umgebung zu erkunden. In Liskeard selbst gab es nicht sonderlich viel Interessantes zu sehen, doch mit dem Zug brauchte man nur etwa 30 Minuten, um nach Plymouth zu kommen, wo es ein riesiges Einkaufszentrum, ein Aquarium, ein Kino und vieles mehr gab.

„da wir sehr nah am Meer wohnten, hörte ich morgens die Möwen“

Mein Schulweg betrug glücklicherweise nur drei Minuten zu Fuß und ich besuchte die 12. Klasse, war also Teil der Oberstufe beziehungsweise „Sixth form“, die ihr eigenes Gebäude auf dem Schulgelände hatte. Im Gegensatz zu den Schülern der unteren Klassen mussten die „Sixth formers“ keine Schuluniform mehr tragen. In England hatte ich Zwei-Wochen-Stundenpläne und der Unterricht begann normalerweise um 8:45 Uhr und endete um 15:30 Uhr oder 16:15 Uhr. In der „Sixth form“ wählen die Schüler nur vier Fächer. Ich hatte Psychologie, Fotografie, englische Literatur und English Language, einen Kurs mit viel Grammatik und Textanalyse. Es gab aber auch Fächer wie Drama, Modedesign oder Umweltstudien und vieles mehr. Der Unterricht machte mir sehr viel Spaß und die Lehrer waren super nett und ließen mir jede Unterstützung zukommen, die ich brauchte. Dennoch wurden wir Austauschschüler nicht bevorzugt oder anders als die „normalen“ Schüler behandelt. Die Klassen waren viel kleiner als in Deutschland, im Schnitt gab es rund 15 Schüler pro Klasse und das Lehrer-Schüler-Verhältnis war viel entspannter, als ich es gewohnt war, da man nicht zwischen dem formellen „Sie“ und dem informellen „du“ unterscheidet. Meine Mitschüler nahmen mich alle freundlich auf, allerdings musste ich den ersten Schritt machen und auf sie zugehen. An meinem ersten Tag verlief ich mich natürlich, da mir die Schule ganz schön groß vorkam, doch jeder bot mir sofort seine Hilfe an, wenn ich mal wieder ziellos auf den Gängen herumirrte. Nach und nach wurden Mitschüler zu Freunden, die sich immer wieder gerne an dem Wort „Eichhörnchen“ versuchten, was sich sehr lustig anhörte und seitdem zu unserem neuen Lieblingswort wurde.

„Aber nicht nur die Bräuche gefielen mir, auch die englische Küche schmeckte mir gut“

Meine Gastfamilie kümmerte sich sehr herzlich um mich und unternahm fast jedes Wochenende etwas mit mir. Zum Beispiel spielten wir an einem Abend Bingo für den guten Zweck, wobei ich alle Zutaten für ein traditionelles „Chicken Roast Dinner“ gewann, gingen ins Theater oder machten lange Strandspaziergänge mit unserem Hund. Allgemein gibt es in England unglaublich viele „Charity“-Aktionen. Fast jede Woche fand in der Schule ein Kuchenverkauf oder Ähnliches statt, um Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln. Meine Gastmutter engagierte sich in einem Verein für Brustkrebsforschung, bei deren Hundeshow ich assistierte. Um Weihnachten half ich beim Adventskranzbasteln aus, was mir sehr viel Spaß machte und mich an zu Hause erinnerte. Außerdem unternahm ich viel mit den anderen beiden Austauschschülerinnen, da unsere Gastfamilien gut befreundet waren. Untereinander sprachen wir auch Englisch, was sich anfangs ziemlich komisch anfühlte, dann aber langsam zur Normalität wurde. Mein Englisch hat sich verbessert und einmal, als mich eine Lehrerin nach der Schule auf Deutsch ansprach – sie war vor 14 Jahren von Berlin nach England gezogen –, fiel mir sogar das unvorbereitete Sprechen meiner Muttersprache ganz schön schwer.

Das Klischee, die Engländer seien so freundlich und hilfsbereit, kann ich zu 100% bestätigen. Allgemein waren alle viel entspannter und versuchten, niemanden auszugrenzen. Da ich einen Teil der Weihnachtszeit dort verbrachte, lernte ich einige der dortigen Bräuche kennen. Mir fiel eines ganz besonders auf: Weihnachtskarten! Die Engländer bekommen von fast jedem, den sie kennen, eine Weihnachtskarte, was sich bei meiner Gastfamilie auf über 40 Karten summierte. Aber nicht nur die Bräuche gefielen mir, auch die englische Küche schmeckte mir gut. Nur richtiges Brot habe ich vermisst, da es dort meist nur Sandwichbrot gab, aber anderes Land, andere Sitten, deshalb begibt man sich ja auch auf einen Austausch. In den ersten paar Wochen hatte ich trotz allem ziemlich Heimweh, doch meine Gastmutter war immer für mich da, und das beste Gegenmittel ist wirklich: Action, Action, Action! Wenn man viele Dinge unternimmt, ist man so abgelenkt, dass für Heimweh gar keine Zeit mehr bleibt. Sich bei all den tollen Ausflügen, die wir gemacht haben, auf ein Highlight festzulegen, scheint mir fast unmöglich, deshalb muss ich mich nun auf ein paar der besten Erlebnisse beschränken: Einmal veranstaltete unsere Schule eine Kostümparty in einem Hotel, bei der alle ausgelassen waren und tanzten. Ein anderes Mal besuchten wir in unserer Ferienwoche einen Surf-Kurs, der wirklich anstrengend, aber auch unvergesslich war. Besonders gefallen hat mir aber auch der zweitägige Trip meiner Psychologie-Klasse nach London, bei dem wir unter anderem eine Jack-the-Ripper-Tour durch das nächtliche Whitechapel unternahmen.

„Die meisten meiner Ängste erwiesen sich als vollkommen unbegründet“

Mein Fazit nach meiner Zeit in Cornwall fällt ähnlich aus wie das meiner Mutter nach ihrem Auslandsaufenthalt: Diese Zeit werde ich nie vergessen oder bereuen. Man lernt viel über sich selbst, entwickelt sich weiter und lernt die Dinge, die man zu Hause hat, viel mehr zu schätzen. Auch wenn es einen manchmal viel Überwindung kostet, lohnt es sich auf jeden Fall. Die meisten meiner Ängste erwiesen sich als vollkommen unbegründet. Die Zeit ging auch viel schneller vorbei, als ich anfangs dachte, und als ich meinem Gastvater vom Bus nach London Heathrow ein letztes Mal zuwinkte, konnte ich es gar nicht glauben, dass meine Zeit in England schon vorbei war. Eines steht jedoch schon fest: Mein Abschied ist nicht für immer. Ich werde Cornwalls wunderschöne Landschaft wiedersehen und auch meine Gastfamilie plant bereits eine Deutschland-Rundreise, bei der sie alle ihre Austauschschüler besuchen werden.

Melissa Schmidt, 17, geht derzeit noch zur Schule und möchte nach ihrem Abitur Autorin oder Journalistin werden und gerne bald wieder ins Ausland gehen.

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