Ein buntes Jahr in einem NGO Projekt in Südafrika
Endlich! Meine so sehr ersehnten 333 Tage in Südafrika liegen nur noch gute zehn Stunden Flugzeit von mir entfernt, denke ich, als ich mich unter Tränen am Flughafen von Familie und Freunden verabschiede. Sicher werde ich das ein oder andere, die eine oder den anderen vermissen, doch meine Vorfreude, Aufregung und das absolute Gefühl von Freiheit überwiegen und verdrängen jeglichen Hauch von Zweifel oder Traurigkeit.
Schon lange vor meinem Abschluss wusste ich, dass ich, sobald ich mein Abitur in der Tasche hätte, weg wollte. Einfach mal raus aus allem, was ich kannte, und eintauchen in eine für mich neue und andersartige Kultur. Zusätzlich noch mein Englisch aufzubessern erschien mir wie die Kirsche auf der Sahnetorte. Niemals hätte ich mir erlaubt zu denken, dass ich so glücklich sein könnte, von ihr zu kosten. Doch im Zuge der Vorbereitung durch meine Entsendeorganisation fühlte ich mich bestens unterstützt und wurde mit den unterschiedlichsten Instrumenten ausgestattet, die mir dabei helfen sollten, das Abenteuer FSJ nicht nur zu überstehen, sondern das Bestmögliche für alle Beteiligten daraus zu machen.
Während der zwei jeweils fünftägigen Seminare vor der Abreise hatten wir nicht nur die Chance, die anderen Freiwilligen kennenzulernen, sondern lernten eine Menge über das Land, in meinem Fall Südafrika, mögliche Herausforderungen und wie man damit umgehen könnte. Weiterhin erarbeiteten wir uns ein allgemeines Bewusstsein rund um das Thema „Diversität, Kulturschock, Privilegien, Armut“, mit dem wir konfrontiert sein würden. Durch praktische und spielerische Übungen und anhand von Theorie setzten wir uns damit auseinander, was die Rolle von Entwicklungszusammenarbeit ist und welche Verantwortung wir als Freiwillige haben. Wir wurden mit sämtlichen Informationen ausgestattet, tauschten Telefonnummern aus und konnten sogar die Koordinatoren des Gastlandes treffen. Alles in allem fühlte ich mich bestens vorbereitet und konnte mir sicher sein, nie mit irgendwelchen Problemen alleine dazustehen. In Johannesburg gelandet, wurde ich mit weiteren sechs Freiwilligen von der Partnerorganisation am Flughafen eingesammelt und es ging zum „on-arrival camp“, wo wir mehr über unsere Projekte erfahren sollten und kulinarisch sowie sprachlich an die Regenbogennation herangeführt wurden.
Nach zwei Nächten dort ging es nun endlich in unsere Projekte und ich konnte es kaum erwarten, zu sehen, wo ich für das nächste Jahr nicht nur arbeiten, sondern auch leben sollte. Im Gegensatz zu vielen anderen Freiwilligen wurde ich im Projekt selbst zusammen mit anderen internationalen Freiwilligen untergebracht. Eine Tatsache, über die ich zunächst nicht allzu begeistert war, wollte ich doch hautnah in die Eigenarten der Kultur(en) eintauchen. Doch das änderte sich just in dem Moment, in dem ich freundlichst von den Freiwilligen vor Ort begrüßt und herumgeführt wurde. Schnell merkte ich, dass es eine andere Art der Erfahrung sein würde, nicht schlechter und auch nicht besser, halt einfach anders. Ich wohnte und arbeitete in einer NGO, die am Stadtrand Johannesburgs gelegen und wie ein eigenes kleines Dorf strukturiert ist. Dort leben rund 30 Mütter und Frauen, die mit dem Virus HIV infiziert sind oder bereits unter AIDS leiden. Außerdem beherbergt die NGO um die 120 Kinder und Jugendliche, teils zugehörig zu den Müttern, aber auch viele Waisen und Menschen, deren Leben negativ von der Krankheit beeinflusst wurde.
„Zeit für Heimweh blieb mir nicht“
Meine Aufgaben waren sehr vielseitig. Am Vormittag hieß es entweder, zusammen mit den Müttern in der Küche die Mahlzeiten des Tages zuzubereiten, in der Bäckerei auszuhelfen, im Büro an der Buchhaltung zu arbeiten, Häuser zu streichen, den hauseigenen Secondhandshop zu sortieren und für die Bewohner zu öffnen, Spenden zu sortieren oder hier und dort etwas in den Häusern zu reparieren. Am Nachmittag und Abend half ich bei der Hausaufgabenhilfe aus und bot individuelle Nachhilfe an. Ich hatte großes Glück, dass meine Chefin uns Freiwilligen viel eigenen Spielraum gegeben hat, und somit lag es ganz bei jedem Einzelnen, etwas Eigenes zu initiieren. So kam es auch, dass ich mich während der gesamten Zeit in Johannesburg nicht gelangweilt habe, und Zeit für Heimweh blieb mir auch nicht. Da mein Projekt für mich Arbeits- und Wohnort zugleich war, hatte ich am Anfang das Gefühl, etwas isoliert zu leben, da es meistens nur an den Wochenenden Zeit gab, die Stadt und Umgebung besser kennenzulernen und soziale Kontakte zu knüpfen. Innerhalb meines Projekts jedoch fühlte ich mich sofort in die gesamte Community integriert und fand schnell Freunde unter den anderen Freiwilligen sowie auch unter den Jugendlichen und Kindern des Dorfes.
„Es ging um das pure Menschsein“
Was mich fast täglich begeisterte, war die Tatsache, dass die Menschen stets gute Laune und Freude verbreiteten und mich vergessen ließen, dass ich größtenteils von kranken Menschen umgeben war. Auch wenn ich des Öfteren mit wirklich bewegenden Schicksalen von Kindern oder Müttern konfrontiert wurde, fand ich es beeindruckend, wie wenig diese oder die Krankheit an sich im Fokus standen. Es ging um das pure Menschsein. So unterschiedlich die Menschen und Kulturen der Regenbogennation auch sein mögen, was mich überraschte, war, dass Zeit in dem Land eine andere Wertschätzung zugeschrieben wurde. Alles war so viel entspannter und es ging immer in erster Linie darum, eine menschliche Interaktion niemals zu unterbrechen, auch, wenn ein „team meeting“ anstand oder ähnliche, für deutsche Verhältnisse als wichtig erachtete Ereignisse warteten. Was ich anfänglich mit einem Schmunzeln und vielleicht auch leichtem Kopfschütteln beobachtete, wandelte sich bald in eine Art von Bewunderung, denn am Ende des Tages wurde ja doch alles erledigt, doch die Menschen schienen mir weniger gestresst oder schlecht gelaunt, als ich es sonst kannte.
„Wieso sehe ich oft doch nur schwarz und weiß?“
Ein weiteres Thema, das mich über die gesamte Zeit hin begleitete, war die Frage: „Was macht dieses Land zu der Regenbogennation“ und wieso sehe ich oft doch nur schwarz und weiß? Besonders während meiner ersten Tage, aber auch im Laufe des Jahres wurde ich immer wieder überrascht und schockiert, wie sehr ein auf Hautfarbe basierender Rassismus noch deutlich spürbar war. Ging ich zum Beispiel durch „downtown Johannesburg“, war es keine Seltenheit, von Schwarzen angesprochen zu werden, die mich nach einem Job fragten oder Geld von mir wollten. Wenn ich sie fragte, warum sie glaubten, dass ich ihnen dabei helfen könnte, kam immer die Antwort: „Weil du weiß bist“. Weniger erfreulich waren Begegnungen, bei denen mir zugeschrien wurde, was ich hier oder dort wollte und dass ich doch zurück nach Rosebank gehen sollte, ein reiches Viertel der Stadt, in dem überwiegend Weiße leben. Immer führten meine Hautfarbe und meine langen, glatten Haare dazu, dass man mich anfassen oder sogar küssen wollte, einfach nur, weil ich weiß bin. Auch wenn mir in all diesen Fällen nur „positive Attribute“ wie Reichtum, Schönheit oder Geschäftssinn zugeschrieben wurden, machte es mich wütend, wie sehr Menschen gewisse Vorurteile haben und einer fremden Person aufgrund ihres Erscheinens entgegentreten.
„Scheiße, bin ich weiß!“
Alles, was ich bis zum damaligen Zeitpunkt über Rassismus zu wissen glaubte, wurde täglich neu auf die Probe gestellt. Egal wie sehr ich das Gefühl hatte, schon ein Bewusstsein dafür gehabt zu haben, ich wurde eines Besseren belehrt. Es gab zwar viele positive Erlebnisse, aber es fiel stark auf, dass die Hautfarbe immer präsent war. Wenn ich mit den Jugendlichen tanzte und ich sagte, „verdammt, könnt ihr gut tanzen“, bekam ich als Antwort, „wir sind ja auch schwarz“, oder ich hörte Dinge wie „ich kann deine Haare nicht flechten, du bist zu weiß“. Des Öfteren fühlte ich mich auf mein Äußeres reduziert und dachte, „scheiße, bin ich weiß!“. Doch auch damit lernte ich umzugehen. Vielmehr kristallisierte sich die Tatsache heraus, dass in den Köpfen der Südafrikaner nur gute 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid ein Denken in Schwarz-Weiß noch vorhanden ist. Allerdings würde ich nicht behaupten, dass es eine bewusste oder beabsichtigte Einstellung ist, sondern dass dieses Denken leider so fest in das Alltägliche integriert ist, dass sie selber es wohl gar nicht merken. Neben diesem Schwarz und Weiß durfte ich aber auch die bunten Farben des Landes entdecken.
„Nie zuvor habe ich einen Ort gesehen, an dem die Gegensätze deutlicher sind. Südafrika hat alle(s)!“
Was Südafrika zu einer Regenbogennation macht, ist für mich nicht nur die unfassbar vielseitige und wunderschöne Natur, sondern es sind die Menschen, die jedem möglichen Problem zum Trotz mit Freude durch den Tag gehen. Es wird gelacht, getanzt und gesungen. Es werden Geschichten erzählt und die Traditionen der verschiedenen Völker bei diversen Feierlichkeiten ausgelebt. Schaltet man den Fernseher ein und es läuft eine nationale Soap, dann wird diese mit englischen Untertiteln begleitet, da die elf offiziellen Landessprachen allesamt gesprochen werden. Nie zuvor habe ich einen Ort gesehen, an dem die Gegensätze deutlicher sind. Südafrika hat alle(s)! Nach einem halben Jahr in etwa ging es für ein paar Tage zum „midstay“, welches von der Partnerorganisation organisiert wurde. Es war dazu da, alle anderen Freiwilligen einmal wiederzusehen und sich über bisher Ereignetes auszutauschen, sich über gewisse Dinge aufzuregen und zu versuchen, das Land besser zu verstehen. Die Zeit da nach verging wie im Flug. Ich fühlte mich mittlerweile komplett wie zu Hause und hatte den Eindruck zu wissen, wie die Dinge laufen. Außerdem hatte ich sprachlich keinerlei Schwierigkeiten und noch viele Ideen in meinem Kopf, was ich mit der restlichen Zeit anstellen wollte.
„Ich musste mich von Menschen verabschieden, die mich mit ihren Geschichten berührt hatten“
Mit schwerem Herzen und Tränen in den Augen hieß es dann nach gut einem Jahr erneut Abschied zu nehmen. Einem Land auf Wiedersehen zu sagen, dessen vielseitige Farben ich jeden Tag hab sehen dürfen und welches mich geschockt und überrascht hat. Ich musste mich von Menschen verabschieden, die mich mit ihren Geschichten berührt und in deren Eigenarten und Gewohnheiten ich mich verliebt hatte. Musste „byebye“ zu meinen Freunden aus aller Welt sagen und dem Ort, den ich nun stolz als eine weitere Heimat bezeichnen kann. Und so stand ich nach nur 333 Tagen in Südafrika am deutschen Gepäckband und konnte es noch nicht so ganz über mich bringen, den Schritt zurück in dieselben Arme zu gehen, von denen ich mich vor einem Jahr weinend verabschiedet hatte. Auch wenn ich mich auf ein Wiedersehen freute, so wollte ich doch nicht, dass mein Stück Sahnetörtchen komplett vernascht sein würde. Bis hin zum heutigen Tage zehre ich jedoch noch von den Krümeln, die mir mal weniger, mal mehr bewusst das Leben versüßen.
Sandra Grobe, 23, ist vor Kurzem von ihrem Erasmusjahr in Rom wiedergekehrt und ist derzeit Studentin der Kulturwissenschaften in Lüneburg. Nach ihrem Bachelor-Abschluss möchte sie gerne ihren Master in Schweden machen.
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